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Die einsamen Frauen von Kronberg.

Die einsamen Frauen von Kronberg.

Würde es eine „Hall of fame“ der schönsten Volksläufe in Südhessen, Rhein-Main und dem Taunus geben, wäre der Altköniglauf in Kronberg ganz vorne mit dabei. Die Strecke hat alles, was eine gute Strecke braucht: Natur, Steigungen, psychologische Belohnungen und Unterhaltungsmomente. Der Termin im frühen Herbst sorgt außerdem oft für die wunderbarsten Wetterbedingungen. Heute leider nicht. Heute ist es grau und trübe und man kann von Glück sagen, dass die Wolken zu depressiv sind, um zu regnen. Außerdem reicht es nicht einmal für 10 Grad und das ist für um den Sommer trauernde Läufer hart.  Und trotzdem: die Umkleide ist pudelwarm und sauber und nach den ersten Minuten Einlaufen scheint alles nicht mehr so tragisch.

Kronberg Anmeldung

Trotzdem schlurfen die Läufer ein wenig willenlos umher und müssen vom Mann am Mikro beinahe zum Start getragen werden. Was? Start? In zwei Minuten? Ist doch noch eewig Zeit. Immer drängender treibt man die Schäfchen zusammen. Wo ist überhaupt die Startpistole? Läufer nesteln an den Schnürbändern, der Veranstalter fuchtelt mit der Pistole. Heute scheint alles etwas konfus. Aber dann knallt es doch und auf Veranstalterseite freut man sich über die Funktionstüchtigkeit der Pistole ebenso wie darüber, dass die ganze Truppe endlich auf die Strecke geht. Zumindest die 20km Läufer sind fürs erste beschäftigt.

Es geht hinaus aus den neu und adrett angelegten Sportanlagen über ein kleinen Hügel, über die Straße – und schwupp ist man auch schon im Grünen. Luxus. Keine endlosen Ortsstraßen mit trostlosen Vorgärten, keine vielen Kurven über Bürgersteige, heute geht es direkt in den natürlichen Lebensraum des Läufers – den Wald. Schnell gibt es die erste kleine Steigung und man ist endgültig warm. Die meisten lassen es vergleichsweise gemütlich angehen. Man braucht hier Körnchen bis zu Schluss, auch wenn die zweite Hälfte deutlich einfacher ist.

Ich schaue nach jedem Kilometer auf die Uhr, mehr aus Gewohnheit, als wegen dem Nutzen. Auf dieser Strecke ist jeder Kilometer ein bisschen anders, in einen gleichförmigen Trott zu fallen ist unmöglich. Das ist ein großer Teil des Spaßfaktors und gleichzeitig entspannt es auch. Weiß der Geier, was meine Zwischenzeit bedeutet. Kurz hinter Kilometer vier steht eine einsame Frau im Wald. Sie lächelt den Läufern so freundlich entgegen, als hätte sie am VHS-Kurs „Positive Stimmung für Streckenposten (Fortgeschrittene)“ teilgenommen.  Tatsächlich steht sie als Streckenposten an einer Weggabelung, die aber für mich jetzt noch nicht relevant ist. Für’s erste laufe ich stur geradeaus und freue mich über das Schild „14 km“, was gleich hinter ihr steht. Ich werde also nochmal hier vorbeikommen und mich voranlächeln lassen (ich komme sogar noch zweimal vorbei, aber das hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht auf dem Schirm).

Hinter mir läuft ein Mann, der in regelmäßigen Abstanden „Super“ vor sich hinmurmelt. Das erste Mal passierte es, als ein Läufer uns überholte und ich interpretierte das „Super“ als respektvolles Hinterhernicken. Doch kurz drauf schon wieder: „Super“. Ich hatte gerade die Spur gewechselt. Hat es ihm nicht gefallen? Laufe ich ihm vor den Füßen herum? („Na super, jetzt rumpelt dieses Nilpferd auch noch auf meiner Spur vor mir her!“) Beim dritten „Super“ denke ich, der Mann überprüft in der Steigung seinen Puls und freut sich, noch am Leben zu sein. Vielleicht spricht er aber einfach nur aus, was alle denken: „Super, dieser Altköniglauf. Und ich mittendrin. Super!“ Vielleicht hat der Mann ja aber auch einfach nur eine Meise. Beim vierten „Super“ ist mir die Sache nicht mehr geheuer und ich suche behutsam das Weite.

Jetzt laufen ein Mann und eine Frau vor mir. Die beiden sind ein Phänomen: sie haben die Autopiloten eingelegt und laufen ein Tempo. Egal, ob bei der kräftigsten Steigung oder dem dollsten Gefälle. Das Tempo ist völlig gleich. Da ich bei der Steigung ein bisschen Gas heraus nehme und es bergab rollen lasse, überholen wir uns dauernd gegenseitig.  Kurios. So locker wie die beiden den Berg nehmen, müssten sie eigentlich viel schneller sein als ich. Trotzdem. Es wirkt so, als würden sie bergab kräftig bremsen. Das seh ich gar nicht ein. Warum auch? Viel zu sehr genieße ich die Gefälle. Irgendwann in der zweiten Hälfte hänge ich sie einfach ab. Nicht einmal mit Absicht, es passiert einfach.

Im Kronberger Wald haben einzelne Streckenabschnitte einen Namen. Wenn man Glück hat, stehen Schilder an der Strecke, um sie zu markieren. Die „grüne Hölle“ zum Beispiel, die aus einer moderaten Steigung in saftiger Vegetation besteht. Oder die „Autobahn“, die bergab für einen ordentlichen Temposchub sorgt. Wie letztes Jahr steht das Schild „Autobahn. Gib Gas!“ am Fuß der Steigung, also auf dem Hinweg. Vielleicht ist damit ja gemeint, dass man Gas geben muss, damit man nicht wie ein LKW am Drackensteiner Hang liegen bleibt. Keine Ahnung. Ich ignoriere das mal lieber.

An jeder Weggabelung steht sie wieder – eine einsame Frau. Während die Männer des MTV Kronberg offensichtlich schon mal selbstvergessen die Grillkohle im Grill verteilen und den Senfstrahl des Senfspenders prüfen, also wichtige Dinge tun, die nur Männer tun können, stehen die Damen im Wald und lächeln. An jedem Knotenpunkt eine. Das hat beinahe etwas Märchenhaftes. Der Läuferwald mit den Waldfeen.

Wie in Nidderau-Eichen bekommen hier die Vögel anscheinend regelmäßig Post zugestellt, denn die kleinen Vogelhäuschen an den Bäumen haben Hausnummern. Natürlich gibt es auch Streckenverpflegung (mit Männerbeteiligung), aber ich sehe heute davon ab, etwas zu trinken. Das Getränk ist vermutlich kalt und  würde meinen noch dösenden Magen erschrecken.

So hangle ich mich von Fee zu Fee, bestaune Läufer, die mir entgegen kommen oder vor mir abbiegen, laufe immer wieder von verschiedenen Richtungen aus über die gleiche Brücke (den „fly over“) und freue mich. Es läuft einfach toll. Ich bin vorsichtig angegangen, habe den höchsten Punkt der Strecke samt Kuhglocke mit guter Laune passiert und laufe wie im Traum. Die Strecke ist so angelegt, dass sich kein Abschnitt wirklich in die Länge zieht. Immer ist etwas los, es geht auf und ab und noch bevor ein mentales Tief auftauchen kann, steht da eine Frau und lächelt. Ab km 17 renne ich los und löse jede Bremse. Ich weiß, dass es nur noch einen kleinen Hügel zu nehmen gibt. Den „Berg der Wahrheit“. Der Rest ist Dumdideldum.

Bei km 18 wurschtelt sich ein Pilzsammler durchs Unterholz und ich will ihn schon fragen, ob die Pilze heute beißen (das fragt man doch Angler auch so), aber dann denke ich, ich muss mich auch mal ordentlich aufs Laufen konzentrieren, ich bin schließlich gleich da. Mein Ziel: besser als die mäßigen 1:53:01 aus dem letzten Jahr. Das sollte gelingen.

Als ich auf dem Sportplatz einlaufe, schaue ich nicht auf die Uhr. Leider. So bemerke ich erst sehr spät, dass eine Zeit unter 1:50 möglich ist. Zum Glück macht mir ein Schlussspurt nicht viel aus. Meine Uhr stoppe ich bei 1:49:57. Die offizielle Zeit liegt leider drüber. Egal. Nettozeit gilt.

Kronberg Kuchen1

Ich ziehe fünf Shirts und Jacken übereinander an und dann tun wir einfach so, als wäre es noch Sommer und essen Kuchen wie immer. Der ist sogar auch noch besonders großartigl. Und weil die Männer von Kronberg so hart dafür geschuftet haben, essen wir auch noch eine Grillwurst hinterher. Kein Zweifel, das war mein bester und schönster Lauf in diesem Jahr. Märchenhaft.

Kronberg Kuchen2

Kronberg Grill

[stextbox id=“info“ color=“696969″ bcolor=“c0c0c0″ bgcolor=“ffebcd“]Mehr zu Lauf und Veranstaltung gibts beim MTV-Kronberg.[/stextbox]


Anfahrtsbeschreibung

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4Antworten um “Die einsamen Frauen von Kronberg.”

  1. Heimar schroeter Says:

    „super“.

  2. shan_dark Says:

    Ach kuck, laufen im Zauberwald. So hieß doch bestimmt der Streckenabschnitt mit den Waldfeen, oder? Hatten die auch so lange weiße Gewänder an, geflochtenes blondes Haar und lächelten etwas entrückt? Hm, dann könnte das auch der HDR-Lauf gewesen sein…

    Bei so Feen wird im nächsten Jahr die Anzahl der männlichen Teilnehmer sprunghaft ansteigen. Sag ich mal…

  3. Daniel1063 Says:

    Schöner Bericht vom Altköniglauf und freut mich auch, dass du die „grüne Hölle“ überstanden hast. An die nicht nicht so schöne kalte Jahreszeit müssen wir uns jetzt erstmal wieder alle gewöhnen.

    Gruß, Daniel.

  4. Pierle Says:

    sehr schön


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