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Die Challenge Challenge.

So, Feb 22, 2015

Schnipsel

Die Challenge Challenge.

„Der Vergleich ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“ Sagt Sören Kierkegaard. „Quatsch.“ Sagt der Sportler. „Der Vergleich ist das Ende von Faulheit und der Anfang von Motivation. Wozu gibt es schließlich Wettkämpfe, bei denen man sich mit anderen misst?“

Was stimmt denn nun? Die meisten Hobbyläufer möchten bei einem Volkslauf gut abschneiden, nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv, zum Beispiel mit einer hübschen Altersklassenplatzierung, mag sie auch „in den ersten Hälfte“ heißen. Dazu muss man besser sein als andere und es ist logisch, dass man sich damit auch vergleicht. Das ist der Sinn eines „Wettkampfes“, wenn man einen Volkslauf denn überhaupt so nennen mag.

Doch längst und schleichend hat sich der Wettkampfgedanke auf unser Training und unser ganzes Leben ausgeweitet. Apps und Plattformen bieten uns Rankings, den immerwährenden Vergleich mit anderen. „Fordere Deine Freunde heraus!“ befiehlt man uns. Alles wird zur Challenge. Wir messen und teilen, was wir tun und werden dabei bewertet. Wenn es nicht vollautomatisch geschieht, machen wir es selbst. Wir posten, was wir getan haben und warten auf Feedback. Genauer: Auf Bestätigung und Lob. Wir waren auf dem Berg? Toll gemacht, so hoch waren andere noch nie! Wir haben 100 Liegestütze gemacht? Wahnsinn, andere schaffen nicht mal fünf. Was spielerisch begann, ist zum Alltag geworden. Der Vergleich ist allgegenwärtig. Irgendwann brauchen wir eine App, die uns dafür lobt, dass wir morgens aufgestanden sind und das auch noch 72% früher als die anderen! „Herzlichen Glückwunsch! Du bist aufgestanden und belegst damit Platz 586 aller Aufgestandenen des heutigen Tages. Mache jetzt Dein Frühstück und sammle wertvolle Nährstoff-Punkte in der Tages-Challenge!“

© AllzweckJack – photocase.de

© AllzweckJack – photocase.de

 
Was macht das mit uns? „Ist mein Penis zu klein?“ fragten sich früher verunsicherte Bravo-Leser in einer schwierigen Lebensphase, die wir gottlob hinter uns gelassen haben. Haben wir? Laufanfänger fragen sich heute, ob sie überhaupt „richtige“ Läufer sind, bei ihrem langsamen Tempo. Wer zum ersten Mal bei einem Volkslauf startet, will alles, nur nicht eines: Letzter werden. Wie peinlich wäre das, im Vergleich mit den anderen! Mit denen, die gar nicht erst angetreten sind, vergleichen sich die wenigsten.

Wer beim Laufen nie Pokale abstauben kann, lernt mit der Zeit, dass meist nur ein einziger Vergleich sinnvoll ist: der mit der eigenen Zeit vom Vorjahr. Warum lassen wir jenseits eines Volkslaufs zu, dass uns eine Software bewertet, unsere Leistung veröffentlicht? Welchen Wert haben unsere Wochenkilometer im Vergleich mit anderen? Unsere Trainingsgeschwindigkeiten? Die Anzahl unserer Liegestütze?

Vielleicht haben wir in den letzten Jahren verlernt, uns selbst zu loben. Für das was wir heute tun und sind, unabhängig davon, wer oder was andere sind. Es stimmt, man kann sein Glück vergrößern, wenn man es teilt. Aber ein Glücksranking muss nun wirklich nicht sein.

6Antworten um “Die Challenge Challenge.”

  1. Carolin Says:

    Gerade erst Anfang diesen Jahres habe ich mit dem Laufen begonnen und dementsprechend kurz kenne ich erst deinen Blog…aber umso begeisterter bin ich!
    Dieser Artikel spricht mir wirklich aus tiefstem Herzen. (Noch) Nicht so sehr aus dem Läuferherz, aber umso mehr spricht es mir aus der Seele, dass man wirklich verlernt, sich selbst zu loben. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es um Trainingsgeschwindgkeiten, Kilometeranzahl oder um eine Leistung im beruflichen geht.

    Wirklich ein toller Artikel!
    Viele Grüße aus der Wetterau.

  2. Michael Says:

    Ich gestehe, ich bin auch einer dieser App-Nutzer und erfreue mich an der Bestätigung, morgens um 06:30 Uhr schon 165% meines Tages-Aktivitätsziels erreicht zu haben…
    Nichtsdestotrotz bin ich bei Dir: wir haben verlernt zu loben und Anerkennung zu zollen.

    Also fang ich einfach mal bei Dir an: tolle Artikel… Macht Spaß zu lesen…

  3. Din Says:

    Ein inspirierender Beitrag und auch wenn ich keine dieser Apps nutze, so kenne ich sehr wohl das Gefühl, etwas hinterher zu hetzen und dabei zu vergessen, auch mal Danke zu sagen. Danke für das bereits Erreichte.

    Oft sehe ich Challenges aber auch eher als eigene Motivation, nicht um mich mit anderen zu vergleichen. Ich schiebe das spontan in meinen Trainingsplan mit ein und bringe damit etwas Abwechslung ins Spiel. Einfach so, einfach weil es auch mal Spaß macht. Mein Trainingstagebuch führe ich auch nur für mich und um mich selbst vergleichen zu können: mit mir selbst.

  4. Markus Says:

    Jeder versucht immer alles zu erreichen und keiner schafft es! Anstatt idealen hinterherzuhetzen sollten wir erstmal unsere Situation analysieren und dann werden wir schnell feststellen, wie toll unser Leben doch eigentlich ist!!

  5. Saffti Says:

    Ach ja, gerade Läuferinnen und noch mehr die Läufer neigen doch sehr dazu, ihren Sport in Zahlen zu erfassen. Man ist 2014 x-mal gelaufen, hat xxxx Kilometer geschafft usw. Habe ich schon jemals von einem Fußballer gehört, dass er in diesem Monat schon 143 Mal aufs Tor geschossen hat? Die Vergleiche mit einem selbst können da fast noch tückischer sein als die mit anderen. Habe gerade festgestellt, dass ich im Vorjahr zu dieser Zeit schon gut 100 km mehr gelaufen bin als in diesem Jahr und will vor lauter Frust am liebsten die Lücke noch heute schließen (100 km schaffe ich nur nicht in sechs Stunden). Aber nach der Lektüre deines Textes entspanne ich doch lieber und koche gleich lecker Grünkohl 😉

  6. Mine Says:

    Schön geschrieben!!


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