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Der Läufer-Läufer-Lauf.

Der Läufer-Läufer-Lauf.

Der 8. Lufthansa Halbmarathon Frankfurt (2010)

Rot-weiß ist eine schöne Farbkombination. Bei Ringelpullis. Bei Zahnpasta. Oder bei Ben & Jerry’s Eis. Manchmal zeigen diese beiden Farben zusammen aber auch ihre hässliche Fratze. Bei „Durchfahrt-verboten-Schildern“ und Absperrungen zum Beispiel. In Frankfurt Sachsenhausen blockieren sie heute die großen Zufahrtswege zum Stadion. (Das eigentlich Commerzbank Arena heißt.) Es ist 8:45 Uhr und wir wollen dorthin. Unbedingt und möglichst schnell, denn wir müssen uns noch zum Lufthansa-Halbmarathon nachmelden. Statt Meldezettel auszufüllen machen wir aber eine kleine Sightseeing-Tour durch die unattraktivsten Straßen Sachsenhausens. Gemeinsam mit einer wahren Autokette erkunden wir Sackgassen, rote Ampeln und die Art, wie sich Absperrungen ganz harmonisch in eine urbane Landschaft einfügen. Leider gehört zu der kleinen Installation nie ein Umleitungsschild oder ein städtischer Ordnungshüter. Vermutlich sind die noch zu müde, vom Strafzettel schreiben am Vorabend. So kurvt der kleine Corso vor sich hin, bis schließlich einer unter einer winzigen Missachtung der Straßenverkehrsordnung einen Weg findet. Der Rest folgt.

© SC-Photo – Fotolia.com

Wir erreichen schließlich endlich die herbeigesehnte Kennedyallee und hoffen jetzt auf einen gnädigen Veranstalter. Denn zum Nachmelden sind wir eigentlich zu spät. Allerdings ist mein Vertrauen in den Spiridon Frankfurt nahezu unbegrenzt und so hält sich die Nervosität dann doch in Grenzen. Tatsächlich dauert der Nachmeldevorgang ca. 2 Minuten. Alles ist gut. Außer der Wettervorhersage. Selbst Herr Kachelmann konnte nicht mehr als 5 Grad versprechen und die Regenwahrscheinlichkeit ist um ein Vielfaches höher als die Promille meines Dunkelbiers von gestern Abend.

So sieht man denn auch beinahe nur bemützte Läufer, viele Handschuhe und Jacken sind am Start. Dazwischen sausen die üblichen Verdächtigen bereits hin und her – Menschen, die gewohnt sind, sich durch blitzschnelles Laufen warm zu halten. Die können natürlich getrost zu Flatterhöschen und Singlet greifen. Ein Läufer wärmt seinen Kopf mit einem Strass-Diadem. Er gefällt mir als Prinzessin Lilifee ausgesprochen gut.

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Auch ein Schweinekostüm bahnt sich den Weg durch die Masse, ein hübscher Gegenentwurf zu all der geschäftigen Ernsthaftigkeit. Man spürt: dies hier ist kein Silvesterlauf, bei dem man alle Fünfe gerade sein lässt. Dies ist ein Formtest, der erste große Halbmarathon der Saison. Und bei dem ist in diesem Jahr alles anders. Statt am Nordwestzentrum irgendwo im Nirgendwo wie in den letzten Jahren trifft man sich an der Commerzbankarena. Die Strecke wurde komplett neu konzipiert. Sie startet hier und sie endet auch hier, ein bisschen wie in früherer Zeit, als der Frankfurter Halbmarathon noch durch den Stadtwald ging. Nur, dass man jetzt durch die Stadt läuft oder besser gesagt, durch den Teil der Stadt, der „dribbdebach“, also jenseits des Mains liegt. Man darf also gespannt sein und das sind die knapp 3500 Teilnehmer augenscheinlich auch. Die Umkleidekabinen der Fußballer dürfen genutzt werden, das finde ich prima. Wann kommt man sonst schon in die Katakomben eines großen Bundesliga-Stadions? Dort unten ist reichlich Raum und viele Läufer drücken sich vor dem Lauf lieber ein bisschen hier herum als in der Kälte.

Lufthansa Halbmarathon Stadion

Mir ist das allerdings zu stickig und ich absolviere lieber das übliche Programm: einlaufen, dehnen, Dixie-Häuschen. Danach: ab in den Startblock. Der Veranstalter sichert schnell noch zwei Poller am Beginn der Strecke, damit niemand zu Schaden kommt und dann kann es losgehen. Der Start erfolgt in Blöcken mit 2 Minuten Abstand und so gelingt es tatsächlich, das größte Geknäule zu verhindern. Der Moderator will die wartenden Läufer ein wenig beschäftigen und fragt, warum man Eulen nicht nach Athen tragen kann. Die Auflösung verpasse ich leider, weil ich auf die Strecke gehen muss. Vielleicht gibt es auch gar keine und man wollte uns nur mit einer möglichst sinnlosen Frage auf andere Gedanken bringen.

Frankfurt Halbmarathon Start

Im Startblock spricht mich eine Läuferin an. Ob ich sie wohl ein Stück begleiten könnte? Sie sei sich etwas unsicher wegen des Tempos. Wir stehen im Startblock mit der Zielzeit 1:50 bis 2 Stunden und ich erzähle, dass ich an die 2 Stunden laufen will. Ja prima, sagt die Dame. Sie sei schon mehrere Halbmarathons gelaufen und wolle sich nun deutlich verbessern. So starten wir gemeinsam. Nach wenigen Minuten stellt sich heraus: meine Mitläuferin möchte plaudern. Um ehrlich zu sein: ich plaudere praktisch nie im Volkslauf. Zwei, drei Sätze auf 10 km. Mehr nicht. Am liebsten gar nicht. Auf Strecke gesehen kostet das alles Kraft und die brauche ich zum Laufen. Ich bin ein bisschen einsilbig und fühle mich unhöflich. Wie soll ich ihr nur sagen, dass ich nicht reden mag, ohne dass es pampig wirkt? Den ersten Kilometer absolvieren wir in 6 Minuten 9 Sekunden. Das ist nun wirklich ein bisschen langsam. Wir können ruhig etwas schneller, sage ich und ziehe das Tempo an. Nach kurzer Zeit bleibt meine Begleiterin hinter mir zurück. Ich drehe mich um. Ich fürchte, ich muss langsamer machen, sagt sie. 2 Stunden 10 wäre ja auch ganz toll. Whow, denke ich, nach 1,5 Kilometern die Zielzeit um 10 Minuten verschoben! Das schaffe ja nicht mal ich. Es hilft nichts, wir müssen uns trennen. Wir wünschen uns gegenseitig viel Glück und mein Gewissen ist erleichtert. Ich darf maulfaul sein, blöde vor mich hinstieren, komische Geräusche machen und mein Tempo laufen, ohne mich zu sorgen, dass es jemanden stört. Sofort fange ich mit allen vier Komponenten an.

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Nach einem kurzen Weg durchs Grüne kommen wir an die erste Durststrecke des neuen Kurses. Die Lyoner Straße in Niederrad ist nicht eben ein Quell der Freude. In der dortigen Bürostadt kann man super Kongresse abhalten und intelligente Dinge in Computer eingeben. Zum Laufen ist dieses Pflaster allerdings weniger sexy. Die Hochhäuser haben Wochenende und die Straßen langweilen sich und uns. Aber ich will überhaupt nicht meckern. Irgendwie muss man ja zum Mainufer kommen und das kleine Stückchen Bürostadt ist nicht halb so schlimm wie der Galopp vom Nordwestzentrum in die Stadt. Außerdem sind die Straßen breit und niemand tritt sich hier auf die Füße. Schwuppdiwupp sind wir auch schon am Main. Hier winkt mir meine Hausstrecke zu. Alles ist vertraut. Vier Kilometer geht es am Fluss entlang, einen großen Teil davon direkt am Tiefkai. Man kann auf das Wasser sehen und schauen, ob die Ruderer schon auf sind. Wie so oft sonntags. Erfreulicherweise dieses Mal sogar mit Rückenwind. Hier gibt es sonst eigentlich immer Gegenwind. Ich wusste gar nicht, dass der Sportdezernent der Stadt Frankfurt einen so großen Einfluss hat.

Streckenplan Lufthansa Halbmarathon

Kurz vor Kilometer 10 darf man etwas trinken. Es gibt Tee, Wasser, bunte Sprudelgetränke und Bananen. Letzteres finde ich für 21 km ein bisschen übertrieben, aber es wird tatsächlich kräftig gemampft. Danach verlassen wir den Main und walzen uns tiefer nach Sachsenhausen hinein. Am Schweizer Platz, einem der Zentren des Stadtteils erwartet uns ein Stimmungsnest von gefühlten 10 Zuschauern. Danach ist die Stille noch stiller. Ein wenig gespenstisch ist das schon, wie sich über 3000 Menschen laufend durch eine Stadt bewegen, während man hinter den Fenstern in Marmeladenbrötchen beißt und den Sportteil der Sonntagszeitung wendet. Unser Vorteil ist: wir kennen beide Welten und wählen bewusst mal die eine, mal die andere. Heute gehört die Stadt jedenfalls uns und die Absperrungen, die uns vorhin noch quälten, sind jetzt ein stolzer Beweis unserer Macht.

Bei Kilometer 14 biegen wir ab Richtung Neu-Isenburg und ich sehne die kleine Wendepunktstrecke herbei. Meine Beine sind schwer und ich weiß, dass ich mich heute anstrengen muss, um unter 2 Stunden zu bleiben. Das ist meinem Trainingszustand und einer leichten Erkältung geschuldet. Wendepunkte sind da eine willkommene Abwechslung mit Motivations-Effekt: man sieht unendlich viele, die langsamer sind, als man selbst. Außerdem mag ich wie immer die kleine Modenschau der Läufer. Die Roben der Oscar-Verleihung sind da praktisch nichts dagegen. Mein Eindruck in dieser Saison: Neonfarben gehen langsam wieder zurück, werden durch gedeckte Töne ersetzt. Mützen sind nach wie vor in klassischem Schwarz gehalten, die vorherrschende Farbe bei Herrenjacken ist royalblau, bei Damen hellblau. Das Singlet ersetzt immer mehr die leichte Weste, Startnummernbänder setzen sich langsam durch. Kleine, unauffällige, weiße Kopfhörer sind mehrfarbigen Sport-Bügel-Kopfhörern gewichen (beides ist natürlich im Wettkampf verboten).

So schaue ich also auf diesen „Catrun“, während ich selbst dem Wendepunkt entgegenstrebe. Kilometer 16, ab jetzt geht es nach Hause. Inzwischen habe ich noch einmal einen Becher Tee getrunken und fühle mich wieder frischer. Wir hüpfen von Schlagloch zu Schlagloch und kämpfen uns dem fiesesten Punkt der Strecke zu: bei Kilometer 19 muss eine Brücke genommen werden. Leider bei Gegenwind und zunehmender Erschöpfung. Von hier ab ist das Stadion deutlich zu spüren und bald zu sehen, doch man muss noch einmal das gesamte Gelände umrunden. Das ist zäh und will kein Ende nehmen. Um das Stadion laufen und nicht reinlaufen dürfen – das ist ein Härtetest für die ermattete Psyche. Jetzt in ein Marmeladenbrötchen beißen und den Sportteil umblättern! Dann aber dürfen wir endlich in die Commerzbank-Arena einlaufen und es fühlt sich ein bisschen an wie früher, als es noch das Waldstadion gab und der Halbmarathon hier endete. Ja, das ist schon etwas anderes als ein ödes Einkaufszentrum vor den Toren der Stadt!

Commerzbank Arena 2

Commerzbank Arena 3

Und trotzdem: der Lufthansa Halbmarathon bleibt ein Lauf für Läufer-Läufer. Event-Läufer, Sightseeing-Läufer und Sambatrommel-Läufer sind hier nicht so gut aufgehoben. Aber dafür gibt es ja genug andere Läufe. Ich bin jedenfalls zufrieden. Mit der Strecke, der Organisation und mit mir. Mit 1:59:38 habe ich eine ordentliche Punktlandung gemacht und die schlaffe Zeit reicht immerhin für eine Platzierung in der ersten Hälfte des Frauenfeldes und der ersten Hälfte meiner Altersklasse. Das ist doch was. Im Zielbereich gibt es wieder alle Getränke und Öko-Bananen von Querbeet.

Lufthansa Halbmarathon Verpflegung

Lufthansa Halbmarathon Querbeet 2

Später verköstigen wir uns standesgemäß im VIP-Bereich des Stadions mit mitgebrachtem Kaffee und Kuchen (man kann ja nie wissen).

Lufthansa Halbmarathon Kuchen

Auf der Heimfahrt merke ich, wie müde ich bin. Zuhause angekommen mache ich den Fernseher an, wähle Formel 1 auf RTL und schlafe sofort ein.

Hier das „offizielle“ Video:

[stextbox id=“info“]Mehr zum Frankfurter City-Halbmarathon gibt’s unter: www.spiridon-frankfurt.de[/stextbox] [stextbox id=“grey“][/stextbox]

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6Antworten um “Der Läufer-Läufer-Lauf.”

  1. Alexandra Says:

    Die Berichterstattung finde ich prima! Habe alles sofort wiedererkannt und herzlich gelacht! Herzlichen Dank!

  2. Jörg Says:

    Wie immer ein schöner Bericht. Da könnte man ja eigentlich auch mal laufen. (Auf die Liste für nächstes Jahr)

    Grüße

    Jörg

  3. Marvin Says:

    Herrlich! Immer toll zu sehen, dass es Läufer ohne Tunnelblick gibt. Gerade in der Realsatire des Wettkampfes. Laufen und Wettkampf, das ist wie Cabriocruisen und Linksrasen, wie Essen und Bulimie, wie Liebemachen und Dominabesuch, wie… Ich bin übrigens kein großer Wettkampfläufer, sagte ich das schon?

  4. Bernhard Says:

    Dieser Laufbericht ist voller Witz und sprachlicher Brillanz.
    Ich hefte ihn als Erinnerungshilfe zusammen mit der Urkunde ab.
    Danke für diesen Spaß!

  5. Brennr.de Says:

    Ich bin dieses Jahr zum ersten Mal dabei und bin gespannt. Deinen Bericht zu lesen hat echt Spaß gemacht. Die Vorfreude ist nun noch größer. 🙂


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