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Bitte recht feindlich.

Sa, Feb 23, 2013

Schnipsel

Bitte recht feindlich.

Der Läufer ist ja gelegentlich von den Jahreszeiten abhängig, namentlich von einer und deshalb tut es Not, diese genauer unter die Lupe zu nehmen. Man könnte es auch Feindbeobachtung nennen.

Der Winter ist die längste aller Jahreszeiten. Während sich Frühjahr, Sommer und Herbst auf einem halben Jahr drängeln, wie an einem überlaufenen kalten Buffet und versuchen, sich gegenseitig die Trüffelhäppchen vom Teller zu klauben, nimmt der Winter allein ein halbes Jahr ein und speist à la carte. Diese dominante Jahreszeit dauert von Oktober bis März und zerfällt in zwei Teile. Dennoch entsteht keine Ritze dazwischen, durch die man flüchten könnte. Der erste Teil ist, anders, als man es vom Winter erwarten würde, nicht kalt, sondern mittelwarm. Dafür mutet es gleichbleibend dunkel an, außer in einem Zeitfenster zwischen 14 Uhr und 14:30 Uhr, in dem man kurz seine Hand vor Augen sehen kann. Dabei regnet es unaufhörlich. In dieser Zeit herrscht noch Pilzsaison, überall vor gastronomischen Betrieben stehen Heizpilze und Menschen, die versuchen zu verdrängen, dass jetzt die beste Zeit des Jahres beginnt, um das Rauchen für immer einzustellen.

Im zweiten Teil des Winters, der Ende Dezember beginnt, ist es heller als im ersten, dafür herrschen dann Temperaturen, über die Bewohner einer russischen Polarstation sagen würden, sie seien „rauh“, wenn „rauh“ ein russisches Wort wäre. Dazu schneit es des öfteren ein Gemisch aus weißem weichem Verbundstoff und einem schwarzbraunen Granulat. Während das Weiße minderer Qualität ist und sich wie ein am Strand von Antalya gekaufter Teppich in Windeseile durchtritt, bleibt das Schwarzbraune liegen. Es hat die Bodenmission, die Sohlen von Laufschuhen durch gezielten Abrieb und Festsetzen in den Flexkerben zu ruinieren. Manchmal entwickelt sich das Weiße auch zu einer magnetischen Fläche, die in der Lage ist, Steißbeine nach unten zu ziehen.

Wer in dieser Zeit läuft, sollte auf gar keinen Fall eine grüne Jacke tragen. Die Sehnsucht von Passanten, Spaziergängern und anderen Läufern nach Grün ist derart groß, dass man Gefahr liefe, einen Pulk von Menschen hinter sich her zu ziehen, die einem im Laufschritt folgen wie einem gemeinen Handtaschendieb, den irren, glasigen Blick fest auf die grüne Jacke geheftet. Es soll Fälle gegeben haben, in denen in solcher Situation ein Angriff auf die rote Nase des grünbejackten Läufers stattgefunden hat, die, eine leuchtende Erinnerung an eine Blüte bildend, einem Pflückvorgang nur knapp entging.

© Elena Moiseeva – Fotolia.com

Natürlich läuft der Läufer dennoch das ganze Jahr hindurch, nur eben tunlichst nicht in Grün. Gegen Ende des Winters braucht er dann auch in unbekanntem Terrain nie ein GPS-Gerät um den Weg nach Hause zu finden. Das liegt daran, dass er während des Laufs wie weiland Hänsel und Gretel kleine Krumen hinterlässt. Eine unvermeidliche Tatsache, denn der Läufer, der sonst geschmeidig ist wie ein Theraband für Anfänger, hat im Laufe des Winters die Konsistenz einer handelsüblichen Kokosmakrone angenommen. Er ist des Winters müde und mürbe und wer genau darauf achtet, kann sehen, wie der Läufer beim Laufen bröselt. Der Winter geht ihm auf den Keks. Den ficht das nicht an, er schneit einfach weiteres Schnee-Granulat-Gemisch aus seinem grauen sonnenlosen Himmelsdach zu den Krümeln. Der angemürbte Läufer, durch das ständige Genickeinziehen schon beinahe halslos geworden, knirscht abwechselnd mit den Sohlen und den Zähnen, um sich nichts anmerken zu lassen. Und läuft einfach weiter, immer weiter. Einem sich irgendwo räkelnden Frühling entgegen, der den Wecker schon zweimal wieder ausgeschaltet hat, um sich nochmal umzudrehen. Aber niemand weiß besser als der Läufer, dass eine Snoozetaste keine Lösung ist. Nicht mal für Jahreszeiten.

7Antworten um “Bitte recht feindlich.”

  1. angry dad Says:

    Herrlich. Ich fühle mich gerade dermaßen verstanden. Kokosmakrone – das ist genau die Umschreibung, die mir gefehlt hat, um meinen Zustand zu beschreiben, als ich heute morgen bei -3°, eisigem Wind und fiesem Sandstrahl-Schnee verbissen und weitgehend erfolglos versucht habe, meine steifen Beine zum Tempotraining zu bewegen. Übrigens habe ich keine Ahnung, warum ich wieder so bescheuert war und mich im März für ein Rennen anzumelden, ich hatte wohl wieder verdrängt, in welcher Zeit die Vorbereitung stattfindet.

  2. Horst Says:

    Ich finde das mit der Grünen Jacke toll. Aber mir ist das noch nicht passiert, denn ich habe gleich zwei davon. Eine fürs Snowboarden und Alltag die andere bei Eisigen Temperaturen zum laufen.

    Bin schon öftes angesprochen worden: Man was für eine geile Farbe.
    Antwort meistens: Ja auf der Skipiste muss man gesehen werden wenn man durch die Skifahrer mit dem Snowboard Slalom fahren muss.

    Die grüne Laufjacke tut einfach gut wenn man durch den Wald läuft.

  3. admin Says:

    Horst, ich muss schon sagen. Du bist wahrlich mutig! Aber wenn Dich mal jemand kidnappt wegen des Grüns, kannst Du immerhin sagen: „Jawohl, die Frau Schmitt hatte mich gewarnt.“ 🙂

  4. Pierle Says:

    „Er ist des Winters müde und mürbe und wer genau darauf achtet, kann sehen, wie der Läufer beim Laufen bröselt.“

    Wahre Worte – ich brösele auch 😉
    Meine beleuchtete Winter-Abend-Laufrunde kann ich auch nicht mehr sehen.

  5. Harald Says:

    Guten Morgen.
    Ich bin gerade aus dem Winterschlaf hochgeschreckt. Die Snoozetaste steht seit November auf „fünf Monate“, aber jetzt, nach der Lektüre, kann ich nicht mehr einschlafen.

    Es treibt mich hinaus, rote Nasen auf grünen Jacken jagen.
    Tempoträning, gleich nach dem Aufstehen.

  6. Whiteytah Says:

    Na, Danke schön FrauSchmitt! Das hast Du jetzt ja mal wieder ganz toll hinbekommen… Ich werde NIE WIEDER im Schnee-Grnulat-Gemisch laufen können, ohne an diesen Artikel denken zu können und mit unkontrollierbaren Lachanfällen zu kämpfen. Jetzt mache ich mich zukünftig nicht mehr nur durch meine Laufversuche, sondern auch noch durch die – in Erinnerung an diesen Artikel verursachten – undefinierbaren Geräusche zum Schrecken der Passanten…
    Im Ernst:
    Wahnsinn – was für ein genialer (und vor allem treffender) Artikel!!! So schön kann das nur FrauSchmitt auf den Punkt bringen. Köstlich!!!

    Danke dafür!
    Viele Grüße,
    Thomas

  7. Ulrike Says:

    Und es stimmt mit der Gräue! Die Wetterleute berichten, seit 60 Jahren hat es nicht so wenig Sonnenschein vom 1.Dezember bis Ende Februar gegeben! Weniger als die Hälfte der durchschnittlichen Sonnenstunden. Heute morgen war es mal HELLgrau, da hab ich mich schon nen Kullerkeks gefreut und gedacht, Mann, wie schön hell das ist heute!


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