RSS

Von unsichtbaren Seen, zarten Zielen und vorweggenommenen Badewannen.

Von unsichtbaren Seen, zarten Zielen und vorweggenommenen Badewannen.

Der Lindenseelauf (15km) in Rüsselsheim (2007)

Wer sich beim Lindenseelauf in Rüsselsheim einen Lauf rund um einen See vorstellt, ist verraten und verkauft. Der Lindensee ist so etwas wie das Ungeheuer von Loch Ness: man muss einfach dran glauben, dass er da ist, sehen kann man ihn nicht. „Stimmt doch gar nicht“, höre ich da meinen Trainingspartner, „Man sieht den See! Gleich am Anfang der Strecke!“ Ich werde die Strecke heute zum vierten Mal laufen und wieder den Lindensee verpassen. Es ist einfach ein Kreuz. 



Aber See oder Nichtsee – Rüsselsheim ist immer ein würdiger Saisonabschluss. Das liegt daran, dass die Strecke nur über 15 Kilometer geht und 15 Kilometer gehen immer, egal ob man ein bisschen schnieft, ob graue Wolken undicht sind, oder man unlängst einen Marathon gelaufen ist (alles bekannte Phänomene im November). Auf mich trifft Letzteres zu, aber New York liegt schon wieder so lange zurück, dass ich mich mit runderneuerten Oberschenkeln auf den Lauf freue. 



Der Zielkanal, den wir noch vor der Anmeldung besichtigen, ist putzig geraten, übergewichtige Läufer winkeln da besser straff die Arme an.

Ruesselsheim-Ziel

Sonst ist alles großzügig: die Halle zur Anmeldung, der Preis (5 Euro), die Toilettensituation und die Umkleiden (Unglaublich: es gibt tatsächlich Umkleideräume, wo man NICHT den Hintern der Mitläuferin im Gesicht hat, wenn sie sich an der Nachbarbank die Schuhe zubindet).

Ruesselsheim-Anmeldung

Wir laufen uns ein wenig ein und dehnen uns wie immer an den steinernen Tischtennisplatten des Schulgeländes. Ebenfalls wie immer macht ein Laufverein in unserer Nähe ein Gruppenfoto (Rüsselsheim muss ein großartiges Pflaster für Gruppenfotos sein). 



Zuerst starten die 5 km-Läufer. Ich schaue sie mir genau an. So sehen also Menschen aus, die ihre guten Vorsätze für’s neue Jahr schon mal im November des Vorjahres umsetzen. Mehr Laufen. An Volksläufen teilnehmen. Weniger Christstollen. Oder mehr Christstollen, dafür auch mehr Laufen. Oder nie wieder Christstollen, dafür ununterbrochen ipod. Während ich noch grüble, beginnt der Countdown und die 5er schießen los. Oder besser: vorne wird geschossen, hinten gerumpelt. Nichts ist so heterogen wie ein 5er-Feld. 

Dann sind wir dran. „Unter 5 Minuten den Kilometer“ sagt mein Trainingspartner. „Ich weiß nicht so recht.“ sage ich. „Schlaffi.“ sagt mein Trainingspartner. Na gut. Wir werden ja sehen. Zunächst einmal sehe ich recht bald, dass ich zu schnell bin. Eine Weile versuche ich noch an meinem Trainingspartner dran zu bleiben, aber das Tempo ist für mich albern schnell. Den ersten Kilometer erledige ich in 4:32, das muss nun wirklich nicht sein. Besser: das darf nicht sein, sonst kriege ich bald eine Herzattacke und dann werde ich nie mehr den Lindensee sehen. [stextbox id=“info“ float=“true“ align=“right“ color=“696969″ bcolor=“ffdab9″ bgcolor=“f5f5f5″]Lieber auf der Couch lesen? Hier gibt’s eine Druckversion als PDF ohne Bilder.
[/stextbox]

Also drosseln. Gar nicht so einfach, die drücken alle so. Wo wollen die denn hin? Vor mir laufen drei Läufer der LG Muli. Erst überlege ich, wieso man sich nach einem Maultier benennt (Ausdauer? Zähigkeit?), aber dann verstehe ich, dass es sich nur um die Abkürzung für Mutterstadt-Limburgerhof handelt. Hier läuft die Pfalz. In der Pfalz kann man wohl gut rechnen, denn jetzt wird blitzschnell die Geschwindigkeit auf die Endzeit hochgerechnet und das bei einem Tempo von 4:40. Dazu wäre ich nicht in der Lage, weder zum dauerhaften Laufen in 4:40, noch zum Hochrechnen und schon überhaupt nicht zum Hochrechnen während des Laufens in 4:40 und so lasse ich die LG Muli unter respektvollen Blicken ziehen. 



Jetzt laufen wir im Feld unter Hochspannungsleitungen hindurch und es macht ein bisschen „Bssss-ksks-bssss“. Dazu geht es leicht bergab und ich bin guter Dinge. Vielleicht macht Elektrosmog ja auch schneller. Noch immer bleibe ich unter den magischen 5 Minuten pro Kilometer, bis wir an ein hässliches Schotterstück kommen. Es sieht aus, als hätte jemand versucht im Betonmischer Streuselkuchen herzustellen, allerdings sind diese Streusel spitz und kippelig. Man weiß kaum, wo man laufen soll, wechselt von rechts nach links in der Hoffnung auf eine eingetretene Spur. Einem Läufer mit Kinderwagen macht das überhaupt nichts aus, er schiebt lässig an mir vorbei. Wenn ich es recht bedenke, schieben Väter mit Kinderwägen immer lässig an mir vorbei, was mich zu der mutigen Theorie verleitet, dass Kinderwägen schneller machen. Oder Kinder. Oder die geschmacklosen Reiswaffeln, die diese Kinder immer in den Händen halten. Ich sollte mir morgen Reiswaffeln kaufen. Nimmt denn diese Schotterstrecke nie ein Ende? 



Ein Halbmarathon wäre weniger anstrengend gewesen, denke ich, da könnte ich langsamer machen. Das ist natürlich dummes Zeug. Eigentlich denke ich die ganze Zeit schon wenig intelligente Sachen und verleihe Rüsselsheim im Geiste den Titel „Home of dummes Zeug“. Muss Rüsselsheim ja nicht wissen. Jetzt denke ich zum Beispiel darüber nach, welcher Badezusatz nach meiner Heimkehr als Belohnung angebracht wäre. Ein Hautfunktionsbad mit Nachkerzenöl? Dr. Hauschka Salbei (wärmend und erfrischend)? Oder besser Tetesept Sinnensalz (Platz eins in der Kategorie „Blöde Namen für Badezusätze“)? Diese wichtigen Fragen lassen mich den Schotter gut überstehen und so lande ich bester Laune auf festem Untergrund. 



Bald kommt eine weitere Hochspannungsleitung und ich rase „Bsss-ksks-bsss“ durch den Wald. Seit Kilometer 12 bin ich zunehmend froh, dass es sich nicht um einen Halbmarathon handelt. Leider ist die LG Muli außer Sichtweite, die könnten mir jetzt so schön meine Endzeit ausrechnen. Bei Kilometer 10 zeigte die Uhr 48:16, das ist eigentlich ganz hübsch. Für eine Zeit unter 1:15 reicht das allemal. Mehr weiß ich nicht. Dabei wäre es spannend, mehr zu wissen. Eine Bestzeit steht auf dem Spiel. Der Atem rasselt ein wenig, aber das darf er jetzt auch. Das Feld ist weit auseinander- gezogen, es gibt keinen Gegener außer mir. Bevor ich mich besiegen kann, ringt mich allerdings erst einmal eine Dame nieder (bestimmt meine Altersklasse, so ein Ärger) und zieht an mir vorbei. Dranbleiben aussichtslos. Angeberin. 



Ich hetze weiter und rufe mir weitere Badezusätze in den Sinn: Kneipp Orange Linde (für innere Harmonie), Kneipp Rosmarin (zur Muskellockerung), Wann kommt denn endlich das Ziel? Franziskus Calendula Bad (pflegend und hautfreundlich), Fette Totes Meer Zen Bad (mit Magnesium), Nimmt denn dieser Ort kein Ende?, Weleda Citrus Bad (ohne Konservierungsstoffe), Dr. Hauschka Zitronenbad (erfrischend und straffend)… 
Gerade rechtzeitig bevor mir die Bäder ausgehen, geht es um eine Kurve und mein Trainingspartner winkt mir zu. Ich watze ins Ziel und versuche, die filigrane Konstruktion dabei nicht umzurennen. Die Uhr zeigt 1:12:59. Persönliche Bestzeit auf 15 Kilometer. So muss ein Saisonabschluss sein. 



Ungewohnt spät (der Lauf startete um 14:30 Uhr) mümmeln wir unseren Kuchen, untermalt von einem Moderator, der magische Zahlen in seine Faust murmelt (worin er ein kleines Mikro gefangen hält). Was wäre ein Volkslauf ohne eine Tombola.

Ruesselsheim-Kuchen

Als wir durch die Dämmerung nach Hause fahren, entscheide ich mich schließlich für einen Badezusatz. Für welchen, bleibt mein Geheimnis. 

 [stextbox id=“grey“]Mehr zu Lauf und Veranstalter gibt’s hier.[/stextbox]

Rüsselsheim?

Stadtplan / Kartengenerator

, ,

Einen Kommentar schreiben

* Die Checkbox für die Zustimmung zur Speicherung ist nach DSGVO zwingend.

Ich akzeptiere

// /* */