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Die Einsamkeit des Kurzstreckenstreusels.

Sa, Jun 25, 2011

A - F, Bonames, Bonames11, Laufberichte

Die Einsamkeit des Kurzstreckenstreusels.

Ein 10er geht immer. Das sagen Läufer zumindest oft und meinen damit die bedeutungslose Schnödigkeit einer Strecke, die aus gerade mal 10 Kilometern besteht. Dabei ist das gelogen. Es sind leicht hunderte von Situationen vorstellbar, in denen ein 10er gar nicht geht. Wenn man tot ist zum Beispiel. Oder sich so fühlt. Oder beides zusammen. Oder eben, wenn man verletzt ist. Was aber nichts heißt, da Läufer meistens verletzt sind, weswegen sie versuchen, nicht in den Schmerz hinein zu laufen, sondern lieber aus ihm heraus. Ob ich heute verletzt bin, weiß ich nicht so genau, denn ich war immer noch nicht beim Arzt. Aber meine Fersen fühlen sich so an, als wollten sie wenigstens für ein paar Stunden ihre schmerzvolle Existenz vergessen. Deshalb trete ich heute beim 10 Kilometer Lauf in Bonames an.

Ich war schon oft in Bonames, aber eher für den 15 Kilometer-Lauf. Das Schöne ist, dass man hinterher gleich viel Kuchen essen darf, egal, ob man 10 oder 15 km gelaufen ist. Denn in Bonames gibt es immer reichlich davon, ich versteige mich sogar zu der Behauptung, in Bonames gibt es den besten und reichlichsten Streuselkuchen aller Post-Race-Kuchenschlachten des gesamten Hessischen Volkslaufkalenders.

Heute reise ich mit der U-Bahn an, die nach Bonames aber überirdisch fährt und deshalb Ü-Bahn heißen müsste. In der Ü-Bahn treffe ich den Stöhnläufer, der bereits in seinem charakteristischen beigefarbenen Laufhemdchen dem Triumph entgegenfährt. Denn der Stöhnläufer ist schnell. Er sitzt auch schnell, weshalb er zu schwitzen beginnt und flugs das beigefarbene Laufhemdchen (das in einem früheren Leben weiß und ein Unterhemd war) auszieht. Es kommt mir vor, als wären wir allein im Abteil, der Stöhnläufer, das Hemdchen, der Schweiß und ich. In Bonames angekommen habe ich – obgleich nicht einmal gestartet – ein erstes mentales Tief überstanden.

Ich melde mich nach (Voranmeldung ist nur was für Unverletzte) und halte nach einer Bekannten Ausschau. Ich treffe diesen und jenen, aber nicht selbige. Schade. Der 15er startet früher und ich tapse hinüber zum Start an der Niddawiese, wo für gewöhnlich ein kleines Warm-up statt findet. Heute aber leider nicht, da der obligatorische Vorturner schon im Urlaub weilt.

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Ich laufe ein wenig sinnlos auf und ab. Anders als angekündigt werde ich dabei besonnt. Das Wetter ist prima. Der Stöhnläufer wird mächtig stöhnen müssen, wenn die Temperaturen weiter so steigen. Der Startschuss der 15er ertönt und zurück bleiben zwei entvaterte Familien mit Hund. Und natürlich wir. Die Schluffis, die nur 10 Kilometer laufen. Lächerlich. Darüber allein einen Bericht zu schreiben!

Nach einer zähen Phase des Einlaufens, Wolkenbetrachtens, unmotivierten Dehnens und Gähnens dürfen endlich auch wir. In meinem Blut schwimmt kein Fitzelchen Adrenalin. Auch das muss man irgendwie üben: volkslaufen, wenn man weiß, man will langsam sein. Wenn man weiß, es geht um nichts. Wenn man einfach nur dabei sein will. Bei einem Marathon ist das einfach, ich laufe meistens mit diesem mentalen Vorzeichen Marathon. Aber bei einem 10er? Verletzt sein ist doof.

Wenn man dann erst einmal läuft, geht alles wie von selbst. Man läuft, so schnell die Ferse will und lauscht auf die tappelnden Schritte der anderen. Warum ist das nur so schön, dieses Geräusch von weichem Kunststoff auf Asphalt? Tappel, tappel tappel. Wir sind unterwegs. Laufen erst mal ein bisschen in die eine Richtung, um ein Hütchen herum und dann wieder in die andere Richtung. Nicht so ein Riesenknaller, eigentlich. Wie soll man das jemandem erklären, wie toll das sein kann, um ein Hütchen herum zu laufen? Allein die Schräglage, auf die man sich schon vorher freut – so ein Hütchen will schließlich genommen werden, ohne dass es einen aus der Kurve trägt. Und: Was wird der Streckenposten sagen, der am Hütchen steht, wenn man dort ankommt? Wird er überhaupt etwas sagen? Die Kunst ist, gerade dann das Hütchen zu umlaufen, wenn der Streckenposten „Auf geht’s!“ oder „Das sieht gut aus!“ ruft. Er kann es ja schließlich nicht bei jedem einzelnen rufen, also muss man Glück haben. Das mit dem Hütchen ist auf jeden Fall eine Wissenschaft für sich. Nach vielen Jahren des Hütchen-Umlaufens erwäge ich, ein Buch darüber zu schreiben. Aber jetzt muss ich erst mal ins Ziel kommen. Der Weg dorthin führt mich durchs Grüne, immer an der Nidda entlang.

Der Bonameser Volkslauf findet immer an Fronleichnam statt, in diesem Jahr später als sonst. Die Felder sehen also ein bisschen anders aus, als sie sonst hier aussehen, die Natur ist ein Stückchen weiter. Interessant.

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Und die Sonne steht höher. Obwohl es nicht besonders warm ist, komme ich doch ziemlich ins Schwitzen. Überall sieht man die Finisher-Shirts des Chase-Firmenlaufs, dem großen Massengerumpel mit anschließender kollegialer Genitalabmessungsanalyse. Darüber hinaus gibt es bezüglich der Laufmode heute nichts Außergewöhnliches zu berichten. Außer vielleicht zu den Schuhen von Chirunner Thomas, die ihr Leben als herkömmlicher Laufschuh begannen und voraussichtlich als Sandale beenden werden, weil sich ihr Mesh großflächig auflöst. Ist ja aber auch luftiger im Sommer.

Während ich so vor mich hin trabe und noch denke, wie langsam ich bin, laufen die ersten Übergewichtigen an mir vorbei, gefolgt von mehreren Greisen, die heute den Pacemaker für ihre Mütter geben. Rollatoren und Gehböckchen passieren mich, ihre Nutzer haben dabei ein lockeres Liedchen auf den Lippen. Als das erste Pflegebett an mir vorbeigeschoben wird, überlege ich, das Tempo ein wenig anzuziehen. Meine Überlegung bleibt in einem dichten Gegenwind hängen, der nun aufkommt und uns zwar angenehm kühlt, uns aber auch Kraft aus den morschen Knochen saugt. Ich bleibe bei meinem Tempo, das irgendwo bei 5:45/km liegt. Gut Ding will Weile haben. Stattdessen freue ich mich über ein Stückchen Hausstrecke, das ich nun belaufen kann. Hier war ich länger nicht mehr und es ist schön zu sehen, dass alles noch da ist. Der Weg, die Felder und die schwankenden Sonntagsradfahrer mit Radlerhose (Tchibo), Handschuhen (Aldi), Helm (Lidl) und Kind (Sören auf Puky). Es wird langsam Zeit für den Kuchen.

Nun muss nur noch ein kleiner Hügel bezwungen werden. Ich schraube mich die kleinen Serpentinen hinauf und bin längst nicht so platt wie sonst an dieser Stelle. Auch mal schön. Ins Ziel eilen und gefühlte 8 Becher Wasser trinken ist jetzt eins. War doch warm.

Die Kuchenstücke gleichen in Größe und Gewicht etwa einer handelsüblichen 1-Liter-Milchpackung und so wählt man besser nur eins. Das ist die größte Tragödie dieses Tages: Fünf der weltbesten Streuselkuchen zur Auswahl haben und nur ein Stück essen können. Mit meinem Schneckenlauf werde ich sogar noch 3. meiner Altersklasse, hier besteht also dagegen kein Grund zum Gram.

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Traurig ist nur, dass ich nicht tags drauf beim Eppsteiner Burglauf antreten kann. Der besteht zwar sogar nur aus 7,777 Kilometern, das aber dafür mit etlichen Höhenmetern. Gift für die Fersen. Bonames muss also eine Weile vorhalten – bis die Sehnen wieder wollen, muss ich weiter vorsichtig sein. Am besten, ich nehme mir gleich den Volkslaufkalender vor. Ein 10er geht ja immer.

[stextbox id=“info“ color=“696969″ bcolor=“f4a460″ bgcolor=“fff5ee“]Mehr zu Lauf und Veranstalter gibt’s auf der Homepage des TSV Bonames.[/stextbox]

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6Antworten um “Die Einsamkeit des Kurzstreckenstreusels.”

  1. Giegi Says:

    Ich freue mich immer über deine Bonames-Berichte, denn schließlich habe ich durch sie erst erfahren, dass es diesen Ort wirklich gibt. Ich hielt den Namen früher für einen Platzhalter ähnlich wie „Wolkenkuckucksheim“ oder so 🙂 Da sieht man mal wieder, was man im Internet alles lernen kann…

    Dass das Lesen wieder mal Riesenspaß gemacht hat und der Kuchen lecker aussieht, braucht man ja fast nicht mehr erwähnen. Das aber doch: Gute Besserung, liebe Heide, für die Fersenseuche! Auf dass sie sich bald vom Sommeracker mache!

    Liebe Sonntagsgrüße, Giegi

  2. Blumenmond Says:

    Bonames ist für mich der Inbegriff für Laufberichte von Frau Schmitt und Streuselkuchenbelohnung. Danke!

  3. dickeWade Says:

    „Nach vielen Jahren des Hütchen-Umlaufens erwäge ich, ein Buch darüber zu schreiben.“

    Ich würde dein Buch sofort kaufen!

    Vielen Dank Frau Schmitt für den Bericht! :o)

    LiGrü vom Tommi

  4. shan_dark Says:

    Ha, das sind ja mal Kuchen, da wird ja jede Oma blass… Da könnten sich die hiesigen Bäcker mal je ein Stück abschneiden! Wenn die im Laden auch so aussehen würden, wäre ich schon längst kugelrund. Das ist dann wiederum der Vorteil am Laufen: man bleibt schlank, darf aber nur eins kosten. Dass aber auch Vor- und Nachteile immer so eng zusammenparken müssen. #ätz

    Ich musste sehr lachen bei „Als das erste Pflegebett an mir vorbeigeschoben wird, überlege ich, das Tempo ein wenig anzuziehen.“
    Nu ja, ich kann da ganz unehrgeizig behaupten, dass bei mir ein 10er nicht einfach so geht oder läuft und ich derzeit auch krankheitsbedingt aus der Übung bin. Zum Glück darf man hier auch kommentieren, wenn man standardmäßig nur nen 6er läuft.

  5. Gerald Says:

    Ein toller Bericht, der selbst zum Laufen animiert.

  6. claudia Says:

    soo schön zu lesen und eben grad als kleiner pausenfüller zur käsebemme erst recht, musste nur aufpassen, dass ich mich vor lachen nicht verschluckte… ich finde 5:45 für eine verletzte ferse aber echt ansehnlich, ich gehöre zu der kategorie, die das nur im gesunden zustand läuft. und auf dein buch zum hütchenumlaufen freu ich mich schon, da ist dann essen beim lesen verboten, weil man sicher die krümel nur in die falsche röhre schicken würde!!! danke wie immer (1. für das verbreiten guter Laune und 2. für das Antreiben zum immer weiterlaufen…) liebe grüße! claudia


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