RSS

Von Nussknackern, Geschlechtertrennung und halben Keksen.

So, Mrz 25, 2007

Laufberichte, O - Z, Pfungstadt

Von Nussknackern, Geschlechtertrennung und halben Keksen.

25km in Pfungstadt Eschollbrücken (2007).

Heute fahren wir nach Pfungstadt-Eschollbrücken. Das liegt … ja, wo eigentlich? Zum Glück kann ich mit meinem Trainingspartner mitfahren und der weiß, wo es liegt. Zumindest ahnt er es. Wir stören uns nicht an der Vollsperrung der A 67 und finden Eschollbrücken irgendwie. Wiedereinmal herrscht die Magie des Sonntagmorgens.



Irrigerweise dachte ich, hier schon einmal gelaufen zu sein. Schon beim Einfahren in den Ort schwant mir allerdings: hier warst Du noch nie. Kein Schild zeigt den Volkslauf an, obwohl es sich immerhin um einen 50km Ultralauf und den kleinen Bruder über die halbe Distanz handelt. Irgendwo an der Straße leuchtet die Weste eines Streckenpostens, der uns weiter ins Ungewisse schickt. Im Ungewissen wartet schon seine Kollegin, die uns auf einen Feldweg verweist. Leider wissen wir nicht, dass der Feldweg geradewegs auf die Strecke führt, die von den Ultraläufern bereits ausgiebig unter die Füße genommen wird. Die Einweisung war ein voller Flop. Wir und ein paar andere parken einfach irgendwo und trotten schließlich auf den kleinen Sportplatz zu.



[stextbox id=“info“ color=“696969″ bcolor=“f4a460″ bgcolor=“ffefd5″]Diesen Text gibt es auch als Podcast-Episode zum Hören.[/stextbox]

Volksläufe in Eschollbrücken, das muss man an dieser Stelle vorausschicken, haben eine Besonderheit: ganz gleich, wie lange man läuft, die Strecke misst immer 5 km. Ein 50 km-Läufer muss sie nur eben 10 mal belaufen. Der Streckenverlauf ist – nun ja – ein bisschen eigenwillig. Jedesmal, wenn die Läufer wieder am Stadion vorbeikommen, laufen sie kreuz und quer über eine Wiese. Eine streng vermessene und abgesteckte Wiese natürlich. Wenn man keine schön lange Tartanbahn hat, muss man sich eben zu helfen wissen. Der Sprecher am Mikro nennt den Wiesenverlauf „unseren kleinen Irrgarten“. Das nimmt mich schon einmal grundsätzlich für den Veranstalter ein.



Die Anmeldezettel sehen ein bisschen windschief und handgefertigt aus. Ich ahne: hier wird es spannend. Die erste Überraschung gibt es gleich nach der Anmeldung: man drückt uns eine Tafel Schokolade in die Hand, die „Nussknacker“ heißt und dazu ein Duschgel der Marke Caribic. Für mich Duftrichtung „Tropic Dream“, mein Trainingspartner bekommt „for man“. Aha, hier wird also nach Geschlechtern getrennt. 

Mit dieser lehrreichen Erfahrung betreten wir die Katakomben, in denen sich die Umkleiden befinden. Ich irrlichtere ein bisschen nach rechts und ein bisschen nach links, aber überall stehen halbnackte Jungs, die sich Eukalyptuspasten auf die Füße schmieren und an Startnummern herumknibbeln. Vor einer Toilette stehen endlich auch zwei Frauen (vor Toiletten stehen immer Frauen) und ich frage sie, wo denn hier die Umkleide für Mädels wäre. 



Man starrt mich verständnislos an: „Ne, das ist hier gemischt“ sagt schließlich die eine mit leicht vorwurfsvollem Ton und die andere fügt „Das macht doch auch nix.“ hinzu. „Doch“, sage ich, „das macht.“ Und finde schließlich drei Dinge, die mein offensichtlich unverständliches Problem lösen: eine noch leere Umkleide, einen leicht angeranzten Zettel an der Wand mit einer Spielaufstellung aus dem frühen Pleistozän und einen Lippenstift in meiner Tasche. Mit diesem schreibe ich groß „Damen“ auf den Zettel und hefte ihn an die Umkleidentür.

Die Umkleide ist eiskalt und versprüht den Charme der Räumlichkeiten eines rumänischen Kinderheims. Immerhin gibt es sieben Steckdosen und ich bedaure, kein einziges Elektrogerät mitzuführen.



[stextbox id=“info“ float=“true“ align=“right“ color=“696969″ bcolor=“f4a460″ bgcolor=“fff5ee“]Später nochmal lesen? Hier gibt’s eine Druckversion als PDF.[/stextbox]

So stehen wir schnell wieder draußen und schauen den   Ultras zu, die über die Wiese hoppeln. Das macht Spaß. Der Sprecher begrüßt jeden mit Namen, was die Umkleide ver- gessen macht. Sehr schnell lernt man eines: Ultraläufer sehen nicht aus wie Ultraläufer. Sie laufen schief, haben einen Bauch, hüpfen komisch auf dem Vorfuß oder haben trotz der Kälte ziemlich wenig an. Ich bin wieder einmal voller Bewunderung. Der muntere Stadionsprecher, der sich scheinbar durch Reden warmhält, beschimpft ein wenig die Umherstehenden für die mangelnde Bereitschaft zum Applaus. Recht hat er.

Pfungstadt-Start

Um 11 Uhr gibt es auch für uns den Startschuss. Ich bin neugierig auf die Strecke. Zuerst läuft man auf einen Damm. In Eschollbrücken gibt es einen, obwohl ich nicht so genau sehe, was er so dämmt. Egal, auf dem Damm sieht man viel Himmel und man hat einen herrlichen Überblick. Den genieße ich nur kurz, denn dann kommt der Wind. Bah, wie fies. Hier oben zieht es wie Hechtsuppe.

Pfungstadt-Damm

Nach etwas mehr als einem Kilometer darf man in den Wald und dort wird es besser. Die Strecke ist ein bisschen wie die große Ausgabe der Wiese – es geht kreuz und quer und überall sind Läufer. Zwischendurch hört man die Geräusche einer nahen Motocross-Strecke. Es macht Brumm und Möh und Wromm, Wromm aber dann ist man wieder weiter weg und hört nichts mehr. Der Untergrund ist ziemlich pfützig und man muss aufpassen, wo man seine Asics hinsetzt.

Pfungstadt-Wald

Rechts, links, zick, zack und schwupps – schon ist man wieder im Stadion. Das war also die Strecke. Schade, schon rum. Ab jetzt muss man Runden zählen. Der Sprecher begrüßt auch mich mit Namen und ich bin so gerührt, dass ich vergesse zu trinken. Die Dame, die jetzt vor mir läuft, ist vor so etwas gefeit. Ein Herr, der neben ihr herläuft, reicht ihr eine Trinkflasche zu und ruft: „Geht’s Schatz?“. Sie antwortet: „Ja danke, Schatz“ und klappt mit einer Handbewegung ihren Arm aus, um ihm die Flasche zurückzugeben. Leider wollte ich gerade vorbeilaufen und muss jetzt abrupt vor der Armschranke abbremsen. Und das beim Anlauf auf den kleinen Hügel. „Danke Schatz“ denke ich und grummle ein bisschen. Schließlich überhole ich doch. Schatz bleibt hinter mir. Anderthalb Kilometer später das selbe Ritual. „Brauchst Du was, Schatz?“ „Eine Cola und einen halben Keks, danke Schatz.“ Insgeheim hoffe ich, dass Schatz sich verschätzt und bald abreißen lässt. Aber nichts da. Nicht nur sie bleibt in meiner Nähe, sondern auch Mister „Brauchst Du was, Schatz“, der an den unmöglichsten Stellen wieder auftaucht. Man kann sich seine Begegnungen auf der Strecke eben nicht aussuchen.



Der Lauf macht Spaß. Durch die Stadion-Stationen ist irgendwie immer etwas los. Ich versuche, im 5,30er Schnitt zu laufen und wenn möglich am Ende noch etwas Gas zu geben. Ersteres gelingt schon mal ganz prima. Die Pfützen auf dem Damm sind zunehmend vom Wind verweht, die Strecke wird trockener, die Ultras langsamer.

Pfungstadt-vier

Vier mal bin ich jetzt schon mit Namen genannt worden, habe Kuhglocken gehört und süßen Tee getrunken. Nur noch einmal in den Wind. Jetzt gilt’s. Ich will jetzt den halben Keks hinter mir abhängen und ein bisschen Stoff geben. An einer der Gegenverkehrstellen treffe ich meinen vergnügten Trainingspartner. Beinahe hätte ich „Geht’s Schatz“ gerufen, aber das scheint mir dann doch zu erklärungsbedürftig. Ich watze also los. Das ist das Schönste an Runden-Strecken: wenn man blöde Passagen zum letzten Mal passiert. Es läuft gut und ich freue mich schon auf die Wiese. Nach 2:16:43 laufe ich ins Ziel – namentlich genannt, versteht sich.

Pfungstadt-Stadionsprecher

Als Zielverpflegung gibt es Malzbier, damit macht mir Eschollbrücken eine große Freude. Ich huste ein bisschen und fühle mich mächtig erbaut. Nachdem ich die fiese Umkleide in Rekordzeit hinter mir gelassen habe, darf ich sogar noch in der Sonne sitzen. Zwar gibt es keinen Streuselkuchen, aber mit Zitronenkuchen bin ich vollauf zufrieden. Wir mümmeln, vergleichen unsere Heldentaten und blinzeln weiter einlaufenden Ultraläufern entgegen. Respektvoll nicken wir ihnen zu. Nicht ohne Erleichterung darüber, dass wir nur fünf Mal beim Namen genannt werden mussten.

(Bilder mit freundlicher Genehmigung von Eberhard Ostertag)

 

[stextbox id=“grey“]Mehr zu Lauf und Veranstalter unter: www.tsv-eschollbruecken-eich-la.de[/stextbox]

 

Pfungstadt-Eschollbrücken?

Stadtplan / Kartengenerator

,

Ein Kommentar um “Von Nussknackern, Geschlechtertrennung und halben Keksen.”

  1. Robert Says:

    Es ist immer erbauend, in dieser Enzyklopädie des Hessischen Volkslauf nachzuschlagen – vielen Dank!
    Robert


Einen Kommentar schreiben

* Die Checkbox für die Zustimmung zur Speicherung ist nach DSGVO zwingend.

Ich akzeptiere

// /* */