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What now my love?

So, Jun 21, 2015

Schnipsel

What now my love?

Viele Läufer bezeichnen das Laufen als Liebe ihres Lebens. Deshalb werden auch gern Beziehungsmetaphern bemüht, wenn es um die Haltung zum Laufen geht. Man durchlebt Krisen, so heißt es, Phasen der Lustlosigkeit und Langeweile, um dann hernach gestärkt und verliebter als je zuvor wieder durchzustarten. Das alles hinkt – einerseits, aber es mag auch was dran sein. Partner verändern sich und obwohl Laufen etwas wohltuend Gleichbleibendes hat, passiert doch viel mit ihm, was uns beeinflusst.

Als ich mit dem Laufen anfing, habe ich viel Motivation und Begeisterung daraus bezogen, dass ich meine Helden beobachtet habe. Die nahbaren Helden, die auf ihre Karriere zurückblickten wie Herbert Steffny oder Dieter Baumann und die ferneren, die ich im TV gewinnen sah. In meiner Anfangszeit passierte bei den Frauen ungeheuer viel, plötzlich hagelte es im Marathon Zeiten unter 2:20. Ich hatte Fangefühle wie ein Teenager, mit Stolz trug ich die gleiche Jacke wie Tegla Loroupe, einer charmanten 39 Kilo-Frau, die ich toll fand. Nie vergesse ich den Zieleinlauf von Berlin, den Paul Tergat und Sammy Korir lange Zeit Seite an Seite vorbereitet hatten, selten habe Laufen in einer so edlen, harmonischen Form gesehen und einen so emotionalen, ehrlich begeisterten Marathon-Kommentar wie den von dem viel gescholtenen Gerd Rubenbauer habe ich später nie wieder gehört.

Und natürlich habe ich geheult, als Paula 2003 in London Weltrekord lief, der damals noch gar nicht so hieß. Und noch mehr geheult habe ich, als sie ein Jahr später in Athen am Straßenrand saß und der Traum vom olympischen Gold zerplatzte.

Man könnte denken, dass solche Ereignisse nichts mit dem eigenen tapsigen Laufen zu tun haben. Man ist ja kein Leistungsläufer, der Vorbilder für seine Karriere braucht. Und dennoch: Das hat mir viel bedeutet und ich, die ich mich nie besonders für Sport interessiert hatte, verpasste keinen großen Marathon im Fernsehen. Es hat mich beflügelt und ich habe es genossen, bei den gleichen Rennen wie die Großen anzutreten.

Als jetzt die Nachricht auftauchte, Alberto Salazar, berühmter und bewunderter Coach, unter anderem von Mo Farah, würde seine Athleten mit Doping-Mitteln versorgen, fand ich das einigermaßen erschütternd. Immer neue Details ploppen hoch und wie immer in solchen Fällen kann man das alles glauben oder auch nicht. Allerdings wird Salazar von so vielen Menschen belastet, dass es schwer fällt an ein Komplott zu glauben. Ohnehin ist es kaum noch zu schaffen, sich die Naivität, die man zum Fan sein braucht, zu erhalten. Vielleicht ist es nicht fair, es zu schreiben, aber ich musste mich schon sehr zusammenreißen, um den Weltrekord von Dennis Kimetto ohne ein beklemmtes Gefühl zu bejubeln. Es gibt zu viele hochbegabte Läufer in Kenia. Wo Bruchteile von Sekunden über Wohlstand für eine große Familie oder Armut entscheiden, ist die Bereitschaft, bedingungslos zu vertrauen, groß. Die Meldungen über gedopte kenianische Läufer häufen sich, z.B. Rita Jeptoo. Was und wer kommt als nächstes?

Ich vermisse sie, meine Naivität. Ich will mein Fan-sein zurück. Zweifellos leisten auch gedopte Läufer Großes, aber ich will nicht, dass der Läufer mit dem „besten“ Arzt gewinnt.

Light At The End Of The Tunnel

Meine Desillusionierung fällt ausgerechnet in eine Phase, in der ich mich neu orientieren muss. Ich gehöre jetzt auch zu den Läufern, die an „alte Zeiten“ nicht mehr anknüpfen können. Zweifellos könnte ich immer noch schnell laufen, aber ich müsste hart trainieren dafür. Und dafür fehlen mir Zeit und Kraft. Und ich wüsste nicht, wozu. Wenn man älter wird, kommt oft der Moment, in dem man sich fragt: Ist es wichtig, ob ich den Halbmarathon in 1:59 oder 1:56 laufe? Ich bin ihn schon in 1:41 gelaufen, was soll das also? Sicher kann man sich immer Zeitziele setzen, aber sich dann dafür zu motivieren wird schwerer. Es war schon immer egal, ob ich 1:41 oder 1:49 laufe, aber ich konnte mir Ziele setzen, mich motivieren. Das fällt mir jetzt schwerer. Dabei sein macht Spaß. Mit Zielen aber ungleich mehr.

Ich könnte auf einen neuen Marathon trainieren, das hat mich bislang immer gut bei der Stange gehalten. Das aber fällt mir derzeit schwer, wo ich den Hund noch nicht zum Laufen mitnehmen kann. Nach einem 3h-Lauf noch eine Stunde Gassi gehen, ist eine Menge. Ich weiß, Triathleten lachen über den vergleichsweise mickrigen Zeitaufwand, aber ich bin kein Triathlet und kein Ultraläufer. Ich arbeite selbstständig und manchmal fehlen Zeit und Kraft für Extras. Wo also soll es hingehen, jetzt, da mich immer öfter die Enttäuschung heimsucht, wenn ich Schlagzeilen über Laufhelden lese, wo Persönliche Bestzeiten nicht mehr möglich sind und Ziele fehlen? Wo etliche meiner Lieblingsläufe eingestellt werden, weil der Generationenwechsel und die schwindende Bereitschaft, sich zu engagieren, an den Vereinen kratzt? Zum gemütlichen Jöggerchen reicht es immer und der Spaß daran geht nie verloren. Aber Blümchensex ist in einer Beziehung vielleicht nicht alles. Ein bisschen Knistern wäre mal wieder schön. So wie damals, als ich Paula sah und danach selbst rausging zum Laufen. Und schnell war, weil ich an sie dachte. Jetzt ist mein Läuferleben ruhig geworden. What now my love?

Titelbild © MichaelSvoboda – iStockphoto.com

7Antworten um “What now my love?”

  1. Saffti Says:

    Mir kommt so vieles bekannt vor. Warum haben wir so lange z.B. die Radfahrer unter Doping-Generalverdacht gestellt und parallel die Läufer für immer neue fantastische Weltrekorde bejubelt? Um in der absoluten Weltspitze unterwegs zu sein, braucht auch ein Marathoni eine intensive ärztliche Betreuung. Und die Grenzen von gerade noch legal zu Doping sind mitunter fließend. Mo Farah war für mich der Held von London 2012 – kann er es noch bleiben?

    Tja, und dass man sich langsam von seinen persönlichen Bestzeiten verabschiedet, das kenne ich auch. Da helfen nur neue Herausforderungen, andere Strecken. Mein schönster Lauf im Vorjahr war eindeutig der Hermannslauf, obwohl ich ansonsten jedes kleine Hügelchen hasse. In diesem Jahr will ich einen Marathon einfach nur wegen der superschönen Strecke laufen – vielleicht binde ich dann gar keine Uhr um.

  2. Caro Says:

    Hallo liebe Frau Schmitt,
    Du sprichst mir aus der Seele. Zum Thema Stars und auch die Motivation und das Nachlassen der Kräfte. Seit einigen Wochen bin ich krank und in meinem Alter fällt anschließend der Einstieg wieder um so schwerer. Trotzdem würde ich gerne noch einmal richtig mitmischen. Irgendwann.
    Im Moment freue ich mich allerdings darauf, bald ein kleines, lockeres Läufchen zu machen.
    Auch das würde mich glücklich machen.
    Herzlichst….weiterlaufen
    Caro

  3. Christiane Says:

    Klar sind Zeiten eine tolle Motivation, auch für mich, die ich ja eher in der Liga der langsamen bis sehr langsamen laufe. Aber ich finde auch, dass neue Strecken und Landschaftserlebnisse oder auch einfach Begegnungen wie am Montag in Stuttgart jenseits aller Zeiten und Leistungen eine super Sache sind. Meine Trainingsmotivation ziehe ich da eher aus dem Wunsch, heil anzukommen, genießen zu können, und einigermaßen hinterher zu kommen.
    Das Thema Doping… leider überall im Sport präsent. Ist traurig, ist doof, aber für mich sind diese Spitzensportler so weit weg, dass sie meine eigene Laufrealität eigentlich nicht tangieren.
    Knuddel Hundi von mir!
    Gruß, Christiane

  4. Haasky Says:

    Hallo, liebe Heidi,
    dein Artikel hat mich ziemlich bedrückt. Nicht wegen seiner Diagnose, dass auch im Laufsport andere Erfolgsfaktoren zählen als die Lebensfreude, sondern weil es so aussieht, als würde sich in deiner Beziehung zum Laufen nichts mehr positiv entwickeln können. Negatives Wachstum, absteigender Ast, Rückzug: das klingt alles nach der Traurigkeit, die insbesondere ältere Menschen erfasst, wenn sie merken, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Das ist schade, aber nicht ausweglos!

    Stell doch einfach mal was ganz anderes mit dem Thema Laufen an! Nichts was mit (abnehmender) Leistung und Massenveranstaltungen zu tun hat, sondern eher mit der Wieder-Entdeckung der eigenen Körperlichkeit auf einem extrem elementaren Niveau: Barfuß-Laufen. Idealerweise jetzt, wo der Boden angenehm warm ist. Und freue dich über ein regelmäßiges und jahrelanges erfüllendes Wachstum, weil du anfängst, dich wieder so zu bewegen wie es uns die Natur vorgegeben hat. Es braucht seine Zeit, aber früher oder später fühlt es sich so viel besser an als das Laufen in Schuhen! Vielleicht können dich ja meine Berichte darüber ein bisschen anstecken:
    https://haasky.de/ueber-mich/
    Wäre doch schön, wenn deine Beziehung zum Laufen einen zweiten Frühling bekäme!

    Liebe Grüße
    Wolfgang

  5. Aurora Says:

    Ich bin auch mal sehr heftig ausgebremst worden – nicht durch so etwas, sondern durch eine Krankheit, die inzwischen chronisch, aber zum Glück händelbar ist. Damals dachte ich, ich werde wahnsinnig und kann mich nie wieder motivieren. Doch, konnte ich und habe ich, aber es hat länger gedauert. Das muss es bei Dir ja nicht, aber „einfach mal“ über den eigenen Tellerrand schauen was es Neues gibt. Barfuß laufen wurde ja schon erwähnt, vielleicht auch mit dem Hund zum See laufen, dort eine Runde (oder mehr) schwimmen und wieder nach Hause? Neue Kombinationen und neue Horizonte suchen, das kann nie verkehrt und wie neulich eine 14jährige zu mir sagte „Unbedingt was neues lernen! Das hilft gegen Alzheimer!“

  6. claudia Says:

    kann mich ja total dem ersten kommentar von saffti anschließen!!
    was das doping anbetrifft und auch die bestzeiten, die man irgendwann nicht mehr erreichen kann, egal ob aus altersgründen oder einfach der tatsache geschuldet, dass zeit einfach ein superknappes gut ist.
    ich hab mir zum 50. den jungfraumarathon „geschenkt“, da sind bestzeiten komplett wurscht, als flachlandtiroler aus berlin gilt es einfach nur, füße in die hand nehmen und hochstiefeln …. und es wurde mein beeindruckendste marathon, von daher… bestzeiten hin oder her, nicht umsonst entstammen die sportlichen weltrekorde nicht unbedingt aus der 40 oder 50+ altersliga, aber es gibt so extrem tolle läufe, ich will den das kommende jahr wiederholen, das panorama ist einfach herzzerreißend … und im september ist es dort auch nicht mehr so heiss, genau das richtige für die frau ab 50 ;o) Uhr ist allerdings wegen der zwischenzeiten wichtig, sonst wird man rausgeholt !!!
    und motivationsmäßig treibt so ein ziel natürlich unglaublich an… und den inneren schweinehund meistens in die schweigeecke….

  7. ethfiel Says:

    Paula Radcliffe ist ja noch doping-frei! Sie hat doch Blutproben einfrieren lassen, damit diese immer wieder getestet werden. Und bisher ist sie noch nie positiv getestet worden. Das motiviert noch immer (und wie elegant Mary Keitany läuft)


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