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Das Leben ist rosa.

Das Leben ist rosa.

Ich bin eine Frau und ich kann laufen. Mehrere, aufeinander folgende Kilometer. Das sind die einzigen Bedingungen, die man erfüllen sollte, um an einem Frauenlauf teil zu nehmen. Und trotzdem habe ich es in über 10 Jahren als Läuferin nie in Erwägung gezogen. Frauenläufe in Deutschland sind höchstens 10 km lang und ich bin immer lieber längere Distanzen gelaufen. Und warum sollte ich auch die Geschlechtermonokultur wählen? Ich bin bei etwa 180 gemischten Volksläufen gestartet und mal schnell, mal schneckengleich über die Strecke gehuscht – ich hatte nie das Bedürfnis, dies ohne die Gesellschaft von Männern zu tun, diesen großen, breiten, wenn auch gelegentlich streng riechenden Wesen, hinter deren Rücken man sich im Wind so schön verstecken kann.

1973 rief der legendäre Fred Lebow, Vater des New York City Marathons, in seiner Stadt den weltweit ersten Frauenlauf über knapp 10 Kilometer ins Leben – immerhin 11 Jahre bevor der Marathonlauf als olympische Disziplin für Frauen eingeführt wurde. Damals gab es noch viel aufzuholen. Frauen brauchten viel Mut, um Herd und Wäsche einfach links liegen zu lassen und in kurzen Hosen auf die Straße zu stürmen. Aber worum geht es heute, da jede Hobbyläuferin grundsätzlich starten kann, wann und wo sie will? Andererseits: wenn Frauen heute gleichberechtigt und fröhlich in großer Zahl durch die Stadtparks traben – warum übersteigt der Frauenanteil bei Volksläufen in Deutschland immer noch nur sehr selten 20%?
Die einzige Möglichkeit, eine Antwort auf diese Fragen zu bekommen, ist für mich die Teilnahme an einem Frauenlauf.

Ich melde mich also beim Women’s Run in Frankfurt an und erkenne sehr schnell, dass mir die Teilnahme eine schwere Bürde auferlegt: Ich werde ein rosafarbenes T-Shirt tragen müssen. Die lieblichen und in meinen Augen wenig erwachsenen Farben rosa und hellblau peinigen mich seit es Frauenlaufmode gibt und ich meide sie, wo ich kann (was aus rätselhaften Gründen nahezu unmöglich ist).

Aber heute will ich wissen, wie man in einem rosa T-Shirt läuft und fühlt, also muss ich es anziehen. Man geht ja auch nicht ohne Dirndl aufs Oktoberfest. Das Shirt gibt es mit den Startunterlagen in der Commerzbank Arena und es ist schön geschnitten und aus ordentlichem Funktionsmaterial. Darauf steht „Running Queen“, was ich ein bisschen peinlich finde, aber mit dieser Meinung bin ich völlig allein.

Die 8 km-Läuferinnen wärmen sich auf. Ich halte mich da mal lieber am Rand auf, wehe, wenn der Hampelmann kommt.

Die 8 km-Läuferinnen wärmen sich auf. Ich halte mich da mal lieber am Rand auf, wehe, wenn der Hampelmann kommt.

Um mich herum schnattern und lachen tausende rosa gewandeter Running Queens in froher Erwartung des Laufs. Sie tragen bunte Taschen und Plastikbeutel unter dem Arm, denn vor dem Lauf wird erst einmal geshoppt. Im „Women’s Village“, der hübschen kleinen Verkaufsmesse, gibt es nicht nur Laufutensilien (das wäre ich von anderen Volksläufen gewohnt), sondern unter anderem Shampoo, Gratis Make-up, Farbberatung, Sneaker-Söckchen und Waschmittel. Und damit es noch weiblicher wird, kann man auch eine Waschmaschine gewinnen. Das erinnert mich ein wenig an das Kaffeeservice, das die Frauenfußballmannschaft 1989 als Siegprämie vom DFB spendiert bekam. Die Frauen um mich herum halten sich mit solchen emanzipatorischen Gedanken nicht auf: nach dem Laufen muss man waschen, zum Waschen braucht man eine Maschine – wo ist das Problem? Das Waschmittel geht weg wie warme Semmeln. Die fröhliche Frauenschar lacht meine zwiespältigen Gedanken einfach beiseite. Hier steht man eben über den Dingen, man kann sich sogar eine extrem alberne Pappkrone aufsetzen, auf der „Running Queen“ steht und sich damit fotografieren lassen. Darin steckt eine Menge Selbstironie und Humor und ich beginne zu ahnen, was „frauenlaufen“ bedeutet.

Das Women's Village, eine kleine Verkaufsmesse, bei der es sogar Waschmittel zu kaufen gibt - weiblich eben.

Das Women’s Village, eine kleine Verkaufsmesse, bei der es sogar Waschmittel zu kaufen gibt – weiblich eben.

Der Start der 5 km-Läuferinnen liegt so früh, dass ich als 8 km-Läuferin noch in Ruhe den Zieleinlauf der 5er beobachten kann. Es ist phantastisch. Ein nicht enden wollender rosafarbener Strom Läuferinnen fließt ins Ziel – die einen sind zufällig vorne, die anderen hinten, so fühlt es sich an. Running Queens sind schließlich alle. Ein Großteil des Feldes ist jung, viel jünger als gedacht. Wie schön wäre es, so viel gut gelaunte, jugendliche Weiblichkeit in der Volkslaufszene zu wissen! Vielleicht kommt die ein oder andere ja heute auf den Geschmack. Der Frauenlauf gibt die Möglichkeit, sich auszuprobieren, ohne sich deplaziert zu fühlen, wenn man langsam trabt, oder die Hüftröllchen etwas üppiger sind. Das gibt Selbstbewusstsein fürs nächste Mal. Aber trotzdem: dies hier ist anders als ein gemischter Volkslauf. Gleichzeitig ernsthaft und fröhlich. Viele laufen nicht alleine für sich, sondern mit der Freundin, der Clique, den Kolleginnen.

Besonders weiter hinten im rosa Strom spürt man: diese Frauen würden niemals den Mut finden, bei einem gemischten Volkslauf anzutreten. Wer mag auch schon alleine nach 50 Minuten bei einem 5 km Lauf eintreffen. Oder noch später. Hier aber ist das möglich und man ist eben trotzdem noch in bester Gesellschaft. Man muss auch nicht schlank oder sportlich aussehen. Man muss nur ein Mensch sein, der sich heute lieber mit anderen bewegt, als auf dem Sofa zu sitzen.

Der rosa Strom reißt nicht ab - und auch die gute Laune kennt kein Ende.

Der rosa Strom reißt nicht ab – und auch die gute Laune kennt kein Ende.

Selten habe ich so stark empfunden, was Laufen jenseits der persönlichen Erfahrung wirklich bedeutet. Eine Bewegung, die jeden erfasst und die mit „Leistung“ etwas zu tun haben kann – aber nicht muss. Alles ist erlaubt. Man kann 19 oder 49 Minuten für 5 km brauchen – beides ist laufen. Beim Women’s Run starten Frauen mit Gipsarm, mit sichtbaren Spuren einer Chemotherapie, mit 20 kg Übergewicht, mit Schwangerschaftsbauch. Und dazwischen bildschöne schnelle Gazellen mit blonden Pferdeschwänzen und braunen langen Beinen. Die rosa T-Shirts vereinen sie alle und lässt die Unterschiede in Alter und Figur völlig unerheblich erscheinen.

Und dann starten auch wir. Die Pferdeschwänze sind in der Überzahl.

Und dann starten auch wir. Die Pferdeschwänze sind in der Überzahl.

Mein eigener Lauf ist im Vergleich mit dieser beeindruckenden Erfahrung als Zuschauerin unspektakulär. Ich absolviere eine 8 km Waldstrecke so, wie ich sie bei jedem Volkslauf absolvieren würde. Vielleicht ein bisschen weniger schnell. Ich möchte nicht, dass mir etwas entgeht. Wann wäre ich schon mal allein mit so vielen Frauen? Unterwegs bemerke ich ab und zu kleine Männergruppen, oft mit Kindern oder Kinderwagen. Sie feuern den rosa Strom kräftig an. Heute ist die Rollenverteilung geklärt, heute können die Mädels ganz offiziell und ohne schlechtes Gewissen etwas für sich tun. Heute ist das Leben rosa. Als ich ins Ziel komme, ruft der Moderator auf der Bühne monoton „Hopp, hopp, hopp“, ein Ruf, den ich von erfahrenen Laufmoderatoren aus gutem Grund noch nie gehört habe. Aber um mich herum sind alle viel zu fröhlich, um sich an solchen Kleinigkeiten zu stören.  Die meisten teilnehmenden Frauen, so lerne ich heute, haben keine Lust auf „Wettkampf“. Sie wollen einfach nur mit anderen zusammen laufen oder walken. Von den etwa 2.200 Finisherinnen des 5 km-Laufs verzichtet mehr als die Hälfte auf die offizielle Zeitnahme per Chip. Bei einem Lauf unter Männern undenkbar.

Menschen, die über Frauenläufe schimpfen, sagen gerne, es gäbe ja auch schließlich keine Männerläufe. Davon abgesehen, dass Volksläufe durch den oft verschwindend geringen Frauenanteil praktisch Männerläufe sind, wären explizite Herrenwettkämpfe eine einseitige Veranstaltung. Ein reines Kräftemessen unter Jungs würde den Leistungsaspekt noch mehr betonen. Langsame Männer würden vermutlich bald nicht mehr antreten, wenn ihnen die sichere und aufmunternde Gesellschaft der Frauen im hinteren Teil des Feldes fehlte. Wir Mädels haben es ganz schön gut. Wir müssen nicht schnell sein, um uns zu beweisen. Besonders bei Frauenläufen. Dafür tragen wir sogar rosa.

 

Beim Woman’s Run mitgelaufen bin ich im Jahr 2011, letztes Jahr erschien mein Bericht in der Runner’s World.

In diesem Jahr ist das Outfit des Woman’s Run übrigens eher Himbeerfarben. Auch nicht schlecht.

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12Antworten um “Das Leben ist rosa.”

  1. volkslaeufer Says:

    finde es interessant, was in meinem Geburtsort Frankfurt am Main so alles passiert. Leider darf ich als Laeufer an sowas nicht teilnehmen. Alle Laeuferinnen liefen bei diesem Frauenlauf in einem Rosa Hemd oder T-Shirt, dass mich an Deutschlands größten Telekommunikationshersteller für Festnetztelefone und Handy erinnerte.

    mit sportlichem Gruss

    Volkslaeufer=Peter Grosse

  2. Daniel Says:

    Vielleicht liegt es daran, dass ich a) „jung“ bin und schon bspw. mein ganzes Arbeitslebenlang mit Frauen in gleichberechtigten Positionen zu tun habe oder b) ein Mann bin … aber so ein „Frauenlaufghetto“ erscheint mir ziemlich sexistisch – vor allem wenn dann auch noch alle möglichen Klischees (rosa Shirt, Waschmaschine und Make-Up) bedient werden.

    Aber wenn es dem guten Zweck dient Couchpotatoes zu Running Queens zu machen, kann es ja nur gut sein. Vllt. sollte man ja dennoch mal (wie beim Girls Day) auch über einen Mens-Run nachdenken. Alle im Lendenschurz mit hellblauer aufblasbarer Keule, gesponsort von Axe, es gibt nur blutiges Grillfleisch und natürlich Bier. Und um sicher zu gehen, dass auch Männer kommen kriegt jeder eine Urkunde, die ihn als ersten ausweist 😀

  3. volkslaeufer Says:

    Hallo Daniel,

    du hast dir zu diesemThema schon deine Gedanken gemacht.Ich würde, wenn es durchgesetzt werden würde, bei einem reinen „Männerlauf“ mitmachen.
    Ich hoffe, du auch.
    Übrigens, dein Läuferblog ist auch noch sehr jung wie meiner.

    mit sportlichem Gruss

    volkslaeufer= Peter

  4. admin Says:

    Das Verrückte ist – und das zeigen auch eure Kommentare – dass Männern gar nicht auffällt, wie sehr normale Volksläufe bereits Männerläufe sind. Die ersten 10 – 20 Einlaufenden sind immer Männer und die ganze Weizenbier geschwängerte Atmosphäre ist männlich. Es wird zur Seite gerotzt und in die Büsche gepinkelt. Männern ist das alles nur nicht bewusst. Aber es gibt nun mal Frauen, die sich da deplaziert fühlen. Und die Leistungsschere geht ja auch sehr stark auseinander. Bei Frauenläufen sehen langsame Frauen einfach besser aus. Wenn es übrigens noch männlicher sein soll als normal, kann man ja zum Strongman Run gehen. 8.500 Männer und 1.200 Frauen. 🙂

  5. Daniel Says:

    Hm… ein Volkslauf ist aber – wenn ich das richtig verstehe – auch was anderes als ein Frauenlauf. Ein Frauenlauf ist ja irgendwie, dann auch kein FrauenLauf sondern ein Frauen-Come-together in Laufklamotte?

    Wenn ich hin und wieder mit Kollegen oder Kolleginen auf Dienstreise eine Laufrunde drehe bin ich meistens auch in der Minderheit – Weizenbier gibt es hinterher aber trotzdem, aber die Büsche bleiben verschon.

    Wahrscheinlicht ist das meinem Y-Chromosom nicht zu vermitteln, aber sich zum laufen zu treffen um dann aber nicht hauptsächlich zu laufen, sondern sich selbst zu feiern ist eine tolle Sache, mache ich aber eben zu anderen Gelegenheiten. Ich muss dass mal mit meiner Frau besprechen, die kann mir das sicher erklären 😉

  6. admin Says:

    Hallo Daniel,
    das habe ich nicht gesagt, dass die Frauen sich hauptsächlich selbst feiern. Sie sind durchaus wegen des Laufens da und Ehrgeiz haben die meisten auch, aber eben einen anderen. Ich glaube, das ist für viele Männer tatsächlich schwer zu verstehen. Übrigens gibt es ja vorne im Feld auch ganz ordentliche Zeiten, die Schnellen sind ja auch da. 🙂

  7. Whiteytah Says:

    Hallo,
    ich finde die Idee der Frauenläufe gut und weiß von vielen Frauen, dass sie dort mit Spaß dran teilnehmen, einfach wegen der Ungezwungenheit und dem Spaß an der ganzen Sache. Natürlich gibt es dort auch „die Schnellen“, aber es steht doch irgendwie eher das „Wir-Gefühl“ im Vordergrund.
    Was übrigens die Frauendichte bei Volksläufen angeht, möchte ich Folgendes berichten.
    Kempener Altstadtlauf 2013: 5km-Lauf (ohne Ambitionen) 169 Frauen/211 Männer (44,5% Frauen); 5km-Lauf (mit Ambitionen) 51/99 (34% Frauen); 10km-Lauf (ohne Ambitionen) 80/185 (30% Frauen); 10km-Lauf (mit Ambitionen) 30/134 (18% Frauen).
    Es scheint also auch a) auf die Länge der Strecke und b) auf das grundsätzliche Tempo im Feld anzukommen…

    Aber ist das letztendlich nicht alles egal? Hauptsache ist doch, dass wir laufen. 🙂

  8. Daniel Says:

    „Hauptsache ist doch, dass wir laufen.“

    Dem stimme ich zu – und mein Beitrag von gestern war auch absichtlich etwas provokativ formuliert 😉
    Laufen ist eben eher ein egoistisches Ereignis – ich kann mir schon vorstellen, dass da das Gruppengefühl siegt.

    Meine Frau würde bspw. nie auf die Idee kommen alleine Sport zu treiebn – ohne Gruppe (also >1 Leute) hat sie daran keinen Spaß. Und da ist sie eben nicht allein. Das ist sicherlich kein reines Lauf-Phänomen, nur dort hat man es eben mit den Frauenläufen „vermarktbar“ gemacht.

  9. Daniel Says:

    Also erstmal: Das Frauen ihren eigenen, geschlechtsspezifischen Lauf veranstalten (es sind doch Veranstalterinnen?), ist ja erstmal klasse. Den Ansatz, ohne Machomist und Leistungszwang einfach zusammen Sport zu treiben, kann ich sehr gut nachvollziehen. Nur verstehe ich nicht, warum der Machokram durch Tussikram ersetzt wird. Warum bedeutet weiblich = Rosa (oder Hellirgendwas) und Waschmittel & make up usw. Das ist, da kann ich dem anderen Daniel nur zustimmen, ein sexistisches Klischee. Frau Schmitt, Sie mussten sich ja auch überwinden, weil Sie diesem Klischee nicht entsprechen. Der „normale“ bzw durchschnittliche Mann wird letztlich seine Vorurteile bestätigt finden. Ich kann den Stammtisch schon hören: „Haste gesehn? Alle in Rosa un Schminkezeuch gab‘ s auch bla bla“
    Andererseits: Wen interessiert schon was der Stammtisch denkt?


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