Christopher McDougall war ein lausiger Läufer. Über 100 Kilo schwer, nicht besonders schnell, nicht besonders ausdauernd und ständig verletzt. Im Jahr 2006 bewältigt er einen Lauf über 80km und 2000 Höhenmeter bei 38 C°. Ohne orthopädische Folgen. Dazwischen liegt die Geschichte von „Born to run“, dem vielleicht aufregendsten Buch, was je über das Laufen geschrieben wurde.
Nach der Lektüre von „Born to run“ bleibt man erst einmal überwältigt zurück. Was hat man da eigentlich gerade gelesen? Einen Abenteuerroman? Ein ethnologisches Buch über die Kultur eines unbekanntes Volkes? Wissenschaftliches „Infotainment“ über die Evolution und die anatomischen Besonderheiten des Menschen? Oder eine Ansammlung kurioser und amüsanter Anekdoten über Läufer? Christopher McDougall packt das alles in 400 Seiten – und noch viel mehr.
Zu Beginn fühlte ich mich ein bisschen an Bill Bryson und seine humorvollen Reiseberichte erinnert. McDougall weiß, wie man die Spannung hält, wie man Zeitsprünge und Handlungsstränge verknüpft, ohne zu verwirren. Dass man nicht durcheinander kommt, ist bei dieser Fülle an Anekdoten, Geschichten und Begegnungen tatsächlich ein kleines Wunder. Als Journalist und Reporter nutzt McDougall sein ganzes Handwerkszeug.
Roter Faden des Buchs ist die Vorbereitung zu einem außergewöhnlichen Vorhaben: in den unwirtlichen Copper Canyons in Mexiko soll ein beinahe heimlicher Ultralauf stattfinden. Teilnehmen werden einige der besten Ultraläufer der Welt und etliche Bewohner der Canyons, Angehörige des Volkes der Tarahumara. Die Tarahumara gelten als die ausdauerndsten und mühelosesten Läufer der Welt. Schlüsselfigur, um beide „Parteien“ zusammenzubringen, ist ein Mann, den man „Caballo Blanco“ nennt, ein etwas durchgeknallter weißer Läufer, dem die scheuen Tarahumara vertrauen. Die Idee zum „Greatest Race the World has never seen“ nimmt Formen an, als sich der Autor und Caballo Blanco begegnen.
McDougall ist sehr interessiert an dem Zusammentreffen mit den Tarahumara. Er hofft, so einer Frage auf den Grund zu kommen, die ihn umtreibt: Warum können diese Menschen so lange so mühelos laufen, während er selbst sein Training immer wieder wegen eines neuen Zipperleins einstellen muss? Ist es wirklich die Genetik? Oder was machen diese Menschen anders? Dieser großen Frage widmet McDougall sein Buch. Was bei seinem Fragen und Forschen herauskommt ist verblüffend und ungeheuer motivierend: Der Mensch ist zum Laufen geboren. Die menschliche Rasse verdankt dem Laufen ihr Leben. Weil der Mensch schwitzen und seine Atmung unabhängig von der Schrittfrequenz kontrollieren kann, ist der Mensch an Ausdauer jedem anderen Lebewesen überlegen. Das Volk der Tarahumara hat seine Verbindung zu den Vorfahren noch nicht verloren. Sie tun genau das, was sie seit tausenden von Jahren tun: miteinander laufen und zusammenhalten. In selbstgebastelten Sandalen.
McDougall denkt über beides in seinem Buch intensiv nach: die Freundlichkeit und das völlige Fehlen von High Tech. In einem kleinen Exkurs beschäftigt er sich mit Emil Zatopek, dem nicht nur die spielerische Liebe zum Laufen eigen war, sondern auch ein großes Mitgefühl. Das Hinterfragen der Fußbekleidung führt bei McDougall zu einem Plädoyer für weniger Dämpfung, weniger Support, weniger Schuh. Das überzeugend und eindringlich gerät, aber nie penetrant oder missionarisch.
Zwischen all den Forschungsergebnissen, von denen der Autor berichtet, laufen im wahrsten Sinne des Wortes kuriose Gestalten durch das Buch. Angefangen von Caballo Blanco, der sein Geld einmal mit Boxen verdiente und heute in der Abgeschiedenheit lebt, über Barfuß Ted, der am liebsten ohne Schuhe läuft und dabei redet wie ein Buch, oder die junge Jenn Shelton, die auch nach einem wilden Gelage 50km läuft und sich auf der Marathon-Distanz langweilt. Und dann gibt es da noch Scott Jurek, der einige der härtesten Ultras der Welt gewann und 100km auch schon unter 7 ½ Stunden lief.
Nebenbei lernt man die Power-Produkte der Tarahumara kennen: Iskiate, ein Saft aus Chia-Samen, der eine unglaubliche Menge an Omega-3 und Omega-6 Fettsäuren enthält, außerdem Eiweiß, Kalzium, Eisen, Zink, Ballaststoffe und Antioxidantien. Und Pinole, einen stärkenden dünnen Maisbrei. Auf jeder Seite in diesem Buch wartet eine neue Kuriosität, eine neue Geschichte, eine neue Erkenntnis. Nichts von alledem ist langweilig oder eitel. „Born to run“ ist wie ein Becher Iskiate für die eigene Einstellung zum Laufen, für die Motivation und Begeisterung für den ursprünglichsten und natürlichsten Sport der Welt. Es ist das wildeste, prallste und schönste Buch, was ich je über das Laufen gelesen habe.
Alle Fotos von Luis Escobar mit freundlicher Genehmigung von Christopher McDougall.
Eine kleine Dokumentation über die Tamahura und Caballo Blanco im Interview:
Will Harlan, Copper Canyons Marathon-Gewinner von 2009 erzählt von seinen Eindrücken.
Christopher McDougall über sein Buch:
New York Times Blogger Brian Fidelman versucht eine Barfuß-Runde mit Christopher McDougall:
Authors@Google: Ein etwa 50-minütiger Vortrag von Christopher McDougall:
Christopher McDougall bei der Daily Show von Jon Stewart:
The Daily Show With Jon Stewart | Mon – Thurs 11p / 10c | |||
Christopher McDougall | ||||
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Mai 15th, 2010 at 10:13
Danke für den Buchtipp,
ich bin noch nicht ganz fertig, aber schon jetzt begeistert von dem Buch.
Mai 17th, 2010 at 22:22
Ich lese das Buch bereits zum zweiten Mal und kann immer noch nicht recht glauben, was ich da lese. Ich weiß, dass es „echt“ ist, bin aber immer noch völlig verwirrt und gleichzeitig fasziniert, möchte barfuss loslaufen, meine Knieschmerzen vergessen, komische Sachen trinken, 80 km am Stück laufen und überhaupt … Ein wirklich tolles Buch.
Mai 17th, 2010 at 22:38
@Kerstin Genau, genau, genau! 🙂
Juni 8th, 2010 at 21:26
Meine Neugier war einfach zu groß. Band 3 von 8 meiner Fantasy-Serie weg gelegt und angefangen zu lesen. Und was ahbe ich gerade getan? Ich habe mir Chia-Samen bestellt! 🙂
Juni 9th, 2010 at 00:10
Ich auch. 😀 Nachdem ich einen Anbieter gefunden habe, der Chia nicht nur für Pferde anbietet.
Juni 9th, 2010 at 22:04
so einen habe ich glücklicherweise auch gefunden, rohundvital.de. Welcher isses denn bei dir?
Juni 10th, 2010 at 23:16
Rohundvital – das war auch meine Wahl. Das Päckchen kam heute. 😉
Juli 5th, 2010 at 17:14
@admin und @ dirk
Wie hat euch euer Iskiate geschmeckt? Und vor allem: Hat’s eine spürbare Wirkung gehabt???
Würde mich echt interessieren.
Gruß kueni
August 6th, 2010 at 22:04
Finde die Samen im shop nicht !?
August 6th, 2010 at 23:29
Ich hab gerade geschaut, sie sind im Augenblick leider nicht bestellbar (bzw. ausverkauft). Ich wusste gar nicht, dass hier so viele Leute mitlesen 😉 Im Ernst, das ist natürlich schade. Wenn ich eine gute Alternative finde, geb ich Bescheid.
August 8th, 2010 at 19:14
Ist das eine gute Alternative? http://www.sachia.de
Nach dem Lesen des Buches gab es auch wieder mal Bohnen, bloß Chia fehlt noch.
August 8th, 2010 at 19:27
Sieht ganz ok aus, finde ich. Danke Mika! Nur, dass die weiße Saat wertvoller sein soll, ist wohl Quatsch, wie ich mehrfach gelesen habe. Aber wir geben uns ja auch mit der schwarzen zufrieden 😉
August 13th, 2010 at 16:57
Danke für die Bilder, Videos und die Buchempfehlung! Das Buch hat mich sehr berührt und das Video Will Harlan ist es auch! Ich bekomme da manchmal den Eindruck, dass Laufen mehr als Laufen ist!
August 16th, 2010 at 19:03
Christopher McDougall schreibt in Born To Run, dass er davon so beeindruckt war, dass Jurek Scott und Arnulfo Quimare den gleichen Laufstil haben. Auf dem Foto weiter oben, scheint mir aber, dass Scott eher ein typischer Fersenläufer ist. Das Bild mit Arnulo alleine sieht ja echt klasse aus, sehr schöner Laufstil, absolut ästhetisch.
August 16th, 2010 at 19:40
Auf meine Anfrage bei „rohundvital“ habe ich folgende Antwort erhalten:
„…vielen Dank für Ihre Anfrage.
In der Tat hatten wir bis vor kurzem Chia Samen im Sortiment. Leider wurden wir inzwischen unterrichtet, dass für das Inverkehrbringen von Chia-Samen eine Genehmigung des BVL benötigt wird. Dies ist ein zu beantragendes Verfahren, das u.U. bis zu 5000 Euro kosten kann. Dies erscheint uns für ein Produkt, das sowieso von der EU-Kommission als „novel food“ bereits zugelassen wurde, sehr kostspielig. Wir können darüber, das es eine Straftat darstellen soll, Chia-Samen ohne Genehmigung des BVL in Umlauf zu bringen, nur den Kopf schütteln. Ich nehme an, es geht dabei eher ums Geld…
Dies ist jedenfalls der Grund, warum wir leider die Chia-Samen bis auf Weiteres aus dem Sortiment nehmen mussten. Ich hoffe sehr, dass bald eine einfachere Lösung gefunden wird, dass Chia-Samen jedermann zugänglich gemacht werden können, ohne viel Geld investieren zu müssen.“
Soweit dazu – aber mika hat ja eine gute Alternative aufgetrieben 😉
August 16th, 2010 at 20:17
Danke für die Info kueni, das ist sehr interessant. Ich hatte mal gelesen, dass es dafür eine Genehmigung braucht, dachte aber, das sei wohl inzwischen geklärt. Verrückte Geschichte …
August 16th, 2010 at 20:21
@Fliegenpilzmann Ja, ich hatte auch erst den Eindruck, dass es bei Scott nach Fersenlauf aussieht, aber manchmal täuschen solche Fotos auch, je nach dem, welche Phase im Bild gerade erwischt wird. Ich habe auch schon ChiRunner gesehen, die den Fuß ähnlich „fersig“ halten und dann doch anders landen.
August 18th, 2010 at 20:41
@kueni: Ich habe dort bestellt und nach 2 Tagen konnte ich das Päckchen entgegen nehmen. Die Saat läuft dort als Brotbeimischung… 😉
Februar 27th, 2011 at 15:14
Wer größere Mengen Chia-Samen (mehrere Kilo) kaufen will, findet hier günstige Angebote:
http://www.natural-horse-care.com/shop/produkt/378/67/nhc-chia-plus-5-kg/#vote
August 4th, 2011 at 19:30
Matthias, aber das ist Leinsamen und Chia!
Januar 30th, 2012 at 23:42
Ich lese gerade born-to-run und bin super begeistert. Ich glaube, so viel habe ich bei google noch nie recherchiert, um über das geheimnisvolle Läufervolk mehr zu erfahren. Ich laufe auch schon über 30 Jahre Super-Marathon; muss aber auch sagen: es ist jedesmal eine Riesen-Überwindung. Habe im letzten Jahr so ein wenig die Motivation verloren. Da kam das Buch gerade zur rechten Zeit.
Ach übriegens, mein Chia-Samen-Paket ist heute angekommen.
Ich bin gespannt.
Auf Zubereitungsvorschläge bin ich von eurer Seite gern gespannt.
Januar 31st, 2012 at 23:30
Habe gerade das Buch zu Ende gelesen und bin so begeistert, dass ich unbedingt mehr über die Tarahumara, ihren Laufstil und ihre Ernährung erfahren möchte 🙂
Danke für dieses tolle Blog und die vielen Hinweise, die ich hier gefunden habe!
März 12th, 2012 at 16:57
Im Zusammenhang mit dem Laufstil ist auch die „Gangart“ sehr interessant. Vielleicht kann ich den interessierten Leser zu einem Gegenbesuch unter http://www.einfachballengang.de einladen.
Mit Grüßen von den Füßen
September 3rd, 2012 at 21:55
habe das buch gelesen und bin auf dem weg! der weg ist das ziel, mal schauen wo es mich hinführt! kann das buch extrem nur empfehlen für die, die born to run gelesen haben.
mit sportlichen grüssen.
Februar 28th, 2016 at 17:24
Habe mir gerade das Hörbuch angehört und habe danach deine Webseite gefunden.
Tolle Hintergrundinformationen !! 😀
Oktober 14th, 2016 at 17:19
Chia samen gibt es in der Schweiz beim Coop , ohne igendeine Berstellung
Oktober 14th, 2016 at 17:26
Hallo Arno,
danke für den Hinweis! Der Artikel ist inzwischen über sechs Jahre alt, Chia Samen sind längst ein Trendprodukt geworden, was man auch in Deutschland sogar in vielen gewöhnlichen Supermärkten bekommt, in Bio-Läden sowieso. Da so viel über sie berichtet wird und sie überall präsent sind, hielt ich es nicht für nötig, hier weitere Bezugsquellen zu benennen.
November 18th, 2016 at 15:57
Das ist wirklich ein toller Bericht über das Buch, dass ich vor knapp drei Jahren, aber an anderer Stelle schon für mich entdeckt hatte.
Es trifft die Begeisterung, die auch von mir spontan Besitz ergriffen hat, sehr gut und ich kann dem einfach nur grinsend und nickend zustimmen!
Dieses Buch hat mein ganzes Denken über das Laufen verändert und war auch für meine Umstellung auf den VOrfußlauf verantwortlich. Nach nunmehr 5000Km in drei Jahren, völlig verletzungsfrei kann ich wohl sagen: Wenn man es ruhig angehen lässt, kann man es nicht richtiger machen, als in dem Buch beworben.
Ich laufe seit diesem Jahr auch immer mehr in Huaraches. Bisher erst Distanzen bis 10Km aber das mindestens einmal die Woche und es sind immer diese Einheiten, auf die ich mich besonders freue! Tendenz weiter steigend…
Laufende Grüße
Markus