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Von Rosamunde, Rotz und Rasen.

Von Rosamunde, Rotz und Rasen.

Ein Laufbericht ist wie ein Rosamunde Pilcher Roman: Vorhersehbar und schnulzig. Am Ende wird der Held/die Heldin auf die ein oder andere Art ins Ziel kommen. Unterwegs begegnet er der Liebe zum Laufen, die über weite Teile der Strecke freilich unerwidert bleibt. Gewürzt ist das ganze mit allerlei Hindernissen, wie schlechten Wetterlagen, körperlichen Einschränkungen und unzureichender Verpflegung. Dazu kommen garstige Mitläufer, die erfolgreich um die Gegenliebe des Laufens buhlen und den Helden in verzweifelter Stimmung zurück lassen. Der Held möchte aufgeben, gewinnt aber dann auf magische Weise den Glauben an sich selbst wieder. Ich gebe zu, dass gerade meine Laufberichte kein Klischee auslassen. Sie spielen auch noch zumeist auf dem Land, wo fleißige Hausfrauen mit flinken Fingern gar herrliches Backwerk zaubern. Hier wird immer alles gut, Rosen regnen über die schwieligen Füße, der Schleier des Vergessens senkt sich über die Läufer im Ziel. Heute will ich deshalb einmal die nackte, brutale Realität beschreiben. Ohne jede Verklärung. Das Leben ist kein Bambini-Lauf. Nicht sonntags morgens um sechs Uhr. So früh muss man aufstehen, wenn man in Obertshausen-Hausen antreten will. Und wie soll schon ein Tag werden, der mit einem Spruch von Paulo Coelho in einer Kirchenradiosendung beginnt?

Das Leben ist unerbittlich, das bestätigt mir Gregor, den wir in Obertshausen-Hausen treffen. Er berichtet mir nämlich, dass das Laufschwein der Autobahnkiller sein soll. Ich wusste bis dato weder, dass es ein Laufschwein, noch dass es einen Autobahn-Killer gibt. Aber die Geschichte geht so: das Laufschwein ist ein mir unbekannter Volkslaufbesucher in der Region, der gern in einem Schweinekostüm auftritt. Er wurde beschuldigt, einen Mord an der A5 begangen zu haben. „Dieses Schwein ist der Autobahn-Killer“ schrieb die Bild-Zeitung dazu und zeigte ein Bild vom Laufschwein im Kostüm. Es stellte sich aber heraus, dass es das Laufschwein gar nicht gewesen sein konnte. (Niemals würde Rosamunde Pilcher eine derart fiese Geschichte in ihren Roman einbauen!)

Auch im Keller der Picard-Halle, wo die Umkleiden sind, werde ich mit der brutalen Realität konfrontiert. Die Toiletten neben der Umkleide miefen entsetzlich. Auf einem kargen Holzstuhl lasse ich meine Sporttasche fallen, im dünnen Schein der Kellerlampe ziehe ich mich um. Draußen ist Sommer, aber ich fröstele. Der Autobahn-Killer läuft noch immer frei herum. Am Ende ist es ein Läufer ohne Kostüm.

Bei Müdigkeit verlockend - aber diese Sportplatzmatte ist tabu.

Garstig: diese Sportplatzmatte ist tabu.

Wir laufen uns ein und sind tatsächlich überrascht, wie kühl es im Wald ist. Der Lauf in Hausen ist normalerweise eine höchst schweißtreibende Angelegenheit. Heute ist das Laufwetter geradezu perfekt. Hier sind keinerlei literarische Spannungsbögen zu erwarten. Was will ich denn heute laufen? Den Halben, klar. Aber wie schnell? Wie schnell kann ich denn schon wieder? Wie schnell sollte ich? Ich beschließe, dass unter zwei Stunden drin sein muss. Wenn ich jemals einmal wieder unter 1:50 laufen will, sollte ich jetzt unter 2 Stunden laufen. (Ist doch vollkommen logisch.)

Brutal: so enden hier Tennisbälle.

Brutal: so enden hier Tennisbälle.

Wir starten. Über die Strecke in Hausen gibt es nicht viel zu erzählen. Sie ist ganz unpilcheresk. Flach. Wald, bis der Arzt kommt. (Der kommt dort nie. Ich bin hier einmal bös gestürzt, ich weiß es.) Bereits auf der kleinen Stadionrunde zieht das Feld wie verrückt. Man hat es furchtbar eilig. Ich ja eher nicht so. Auf dem Waldweg gibt es noch ein wenig Gedränge, bis sich alles sortiert hat. Wir wackeln hintereinander her wie Erbsen auf dem Fließband. Vor mir trägt jemand postgelbe Kompressionsstrümpfe. Bald gesellt sich ein Gefängniswärter zu mir. So nenne ich die Läufer, in deren Taschen überdimensionierte Schlüsselbünde rasseln. Es gibt einige von ihnen, vielleicht ist es eine geheime Bruderschaft. Begegnet mir einer am Anfang eines Laufes, gerate ich augenblicklich in Panik. Was ist, wenn er jetzt 20 Kilometer neben mir bleibt? Was ist, wenn ich beim Versuch, ihn abzuschütteln, auf der Strecke versterbe und das letzte, was ich höre, ist ein rasselnder Schlüsselbund, der langsam im Wald verhallt? In der Regel trennen sich unsere Wege glücklicherweise ohne, dass einer von uns beiden das Zeitliche segnet. Es passiert einfach. So auch dieses Mal. Er ist schneller. Gefängniswärter müssen ja auch fit sein.

Ich laufe ruhig und gleichmäßig, nachdem es mir geglückt ist, der Hektik im Feld zu entkommen. Sollen sie doch. Pah! Nach wenigen Kilometern höre ich es hinter mir plaudern. Eine junge Frau redet. Und redet. Und redet. Es ist die Familiengeschichte. Liebe. Drama. Wahnsinn. Ihre Begleiterin sagt von Zeit zu Zeit Ah! oder Aha! oder Hihihi! Mehr geht nicht, sonst verpasst sie den Anschluss. In das Plaudern mischt sich auf einmal ein lautes Schnauben und Schneuzen. Dann spuckt es, schneuzt und rotzt. Dann schnaubt es wieder. Wenn das so weitergeht, verpasse ich die ganze Schilderung der Scheidung! Doch jetzt setzt das Schneuzen zum Überholen an. Etwas rotzt an mir vorbei, bis es sich schließlich vor mich setzt. Genaugenommen setzt es sich exakt einen Schritt vor mich und bremst leicht ab. Dann schneuzt es.  Vermutlich handelt es sich hier um so eine Art Volkslauf-Assessment-Center. Ich soll mit allerlei Prüfungen fertig werden. Oder es ist einfach das Schicksal. Erst klingelt es, dann plaudert es und jetzt rotzt es. Einen halben Schritt vor mir. Ich muss meinen Schritt verkürzen, was durch meinen ChiRunning-Modellversuch kaum möglich ist. Ich mache ohnehin schon kleine Schritte. Jetzt tripple ich hinter einer saftig gefüllten Nase her. Ich schere zum Überholen aus, es hilft ja nichts. Die Nase zieht die Nase hoch und das Tempo an. So laufen wir nebeneinander her. Durch das Schnorcheln zu meiner Rechten höre ich, wie es nach der Scheidung weiterging. Bei Rosamunde Pilcher käme jetzt wenigstens ein Reh aus dem Gebüsch. Ein Förster würde mich tröstend in den Arm nehmen und sagen: „Hier draußen ist das Leben nicht immer einfach. Aber es ist ehrlich, verstehen sie? Nie wird mich eine Bache so enttäuschen, wie es eine Frau tun kann.“

Aber das hier ist die brutale Wahrheit des Volkslaufens. Im Wald rotzt es und man kann nichts dagegen tun. Nach der Scheidung kam man übrigens wieder zusammen. Nach ein paar Jahren. Das darf ich noch erfahren, dann ziehen die beiden jungen Frauen an der Nase und mir vorbei. Und dann geschieht das Wunderbare. Ich bestehe die Prüfung und hänge das schniefende Etwas einfach ab. Ich laufe schneller als die Nase der Nase. Das geht einfach so. Herrlich.

Nach 10 km gönne ich mir einen Becher Wasser. Dieter Baumann sagt, das muss man nicht. Trinken bei einem Halbmarathon. Ich nehme mir einfach fest vor, wenn er mich eines Tages fragt: „Sag, hosch Du 2010 in Obertshouse was drunke?“ sag ich einfach: „Hanoi“. Brutal, aber so ischs Läbe.

Nach einer friedlichen Zeit hinter einem orangefarbenen Rücken treffe ich Gregor, der mir mit einigen Kilometern Vorsprung entgegen kommt. Augenblicklich muss ich an das Laufschwein und den Autobahnkiller denken. Wie man Killer wird, kann ich mir leicht vorstellen. Aber wie wird man Laufschwein? Seltsam. Das Schwein trägt mich über den nächsten Kilometer und allmählich wird es Zeit zu rechnen. Reicht es für eine Zeit unter 2 Stunden? Eieiei, das wird knapp. Das wird einer dieser unangenehmen Läufe, wo man bis zum Schluss nicht nachlassen darf. Viel schöner ist es, wenn man die Pflicht schon in der Tasche hat und alles weitere zur Kür wird. Aber meine Hausaufgaben sind noch nicht gemacht, einen Puffer gibt es nicht. Im Gegenteil: jetzt muss ich watzen. Innerlich seufze ich. Ein 5,5er Schnitt. Wie anstrengend ist das denn. Früher war das mal eine bevorzugte Reisegeschwindigkeit, aber davon bin ich weit entfernt. Ich reiße mich zusammen. Das geht schon, nicht nachlassen. Meine Moral war noch immer ganz ordentlich. Nur noch die Stadionrunde in dem kleinen Rund, das sich in den letzten zwei Stunden um mindestens 500 Meter ausgedehnt hat, dann bin ich am Ziel. 1:59:23. Ich kann den Autopiloten ausschalten. (Werbepause) Mein Trainingspartner erwartet mich mit dem besten alkoholfreien Bier der Welt. Es heißt Faust, schmeckt aber trotzdem. Unfassbar gut sogar. Faust hat die Läuferzielgruppe im Auge und schenkt heute in Obertshausen aus. Einfach so. (Werbepause Ende)

Das Bier schmeckt extrem gut. Das bleibt aber unter uns.

Das Bier schmeckt extrem gut. Das bleibt aber unter uns.

In Obertshausen obligatorisch ist eine kleine Barfußrunde auf dem Sportplatz. Der hiesige Rasen ist so eine Art Velourauslegeware im Grashalmdesign, zumindest fühlt er sich so an. Auf der zweiten Runde wandelt sich das krampfige Eiern denn auch schon wieder in etwas, das entfernt an Laufen erinnert.

In Obertshausen-Hausen gibt es nur Minutenzeiger.

In Obertshausen-Hausen gibt es nur Minutenzeiger.

Und dann schlägt die Realität noch einmal ganz hart zu. 1. Ich kriege keinen weiteren Becher vom besten alkoholfreien Bier der Welt, so lange nicht alle Läufer davon kosten dürfen (und etliche sind noch auf der Strecke). 2. Wir verpassen den Bambini-Lauf (das wichtigste Ereignis in Hausen) und 3. Der Kuchen schmeckt … wie soll man es sagen … nicht. Er schmeckt einfach nicht. Wir haben komische Sorten erwischt.

Hausen 2010 Kuchen

Solche erschütternden Wahrheiten müssen auch einmal ausgesprochen werden, ohne jeden Zuckerguss. Gut, dank Sponsor „Querbeet“ gab es wieder einmal Schnitze der besten Äpfel der Welt. Aber dieser Kuchen … Brutal. Und niemand von uns hat einen Altersklassensieg abbekommen! Nicht einmal etwas von der Tombola, obwohl es Groggläser und eine Wärmflasche zu gewinnen gab! Von dem Steingutkrug (0,2 Liter) ganz zu schweigen. So sieht das aus. Die Realität – und das muss an dieser Stelle mal gesagt werden – ist nämlich mindestens so hart wie die Bauchdecke eines durchschnittlichen Rotkreuz-Helfers.

[stextbox id=“info“ color=“696969″ bcolor=“ffe4b5″ bgcolor=“dcdcdc“]Mehr zu Lauf und Veranstalter gibt’s bei der TGS Hausen.[/stextbox]

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10Antworten um “Von Rosamunde, Rotz und Rasen.”

  1. Matthias Walz Says:

    Originell, genial, literarisch!
    Rosamunde Pilcher und Paul Coelho sind ein Dreck dagegen!
    Das meine ich nicht im Spaß. Dankeschön!

  2. w Says:

    Früh war’s aber nett war’s auch… Flach und kühl. Das Bier hab ich nicht probiert, morgens um 10:30 ist mir irgendwie nicht danach, ob mit oder ohne Alk.

  3. Sabine Says:

    Liebe Heidi, ich habe selten so gelacht. Ein wunderbarer Bericht. Ich liebe diese Stelle: „Bei Rosamunde Pilcher käme jetzt wenigstens ein Reh aus dem Gebüsch…“ Herrlich!
    Ich hatte übrigens beim Hugenottenlauf auch mal einen Gefängniswärter neben mir. Vielleicht war es der gleiche. Zum Glück konnte ich ihn ziehen lassen. 😉
    Glückwunsch auch zur sub 2. Wir zwei laufen momentan fast die gleichen Zeiten (so auch in Eppstein).
    LG Sabine

  4. Anne Says:

    selbst bei knallharter ungeschönter Berichterstattung fühle ich mich amüsiert …

  5. Ronald Says:

    Hallo….auch von mir aus grosses Kompliment für diese herrliche Berichterstattung….
    Als gewohnter Strassen-Halbmarathonläufer muss ich gestehen, dass mir dieser überaus steinige Belag absolut nicht lag….2 mal leicht den Fuss vertreten und einmal fast gestürzt (nach einem Stein-Stolperer), habe mich aber irgendwie wie durch ein Wunder doch noch auf den Beinen halten können….ein Verbesserungsvorschlag noch…einmal zu versuchen keine 2 Runden beim HM laufen zu lassen sondern nur eine Strecke und zum zweiten ein paar Wasser- oder Getränkestellen mehr einrichten……sonst war es eigentlich in Ordnung.
    Für 7 EUR Startgebühr beim HM kann man wohl nicht mehr verlangen…Grüsse aus dem Odenwald

  6. Daniel1063 Says:

    Es macht wirklich richtig Spaß, die Bericht zu lesen und die Bilder dazu runden das Ganze sehr gut ab. Freu mich schon auf den nächsten Artikel.
    Gruß, Daniel.

  7. Jens Says:

    Nächste Möglichkeit um Faust nach einem Halben schlürfen zu dürfen ist, soweit ich weiß, Mitte September in Elsenfeld beim Lauftag.
    Ich könnt im alkoholfreien Weizen baden ^^
    Grüße

  8. Kati Says:

    Frau Schmitt, ich schmeiß mich gleich weg *prust*

  9. Katrin Says:

    Und ich wie ich mir das Grinsen nicht verkneifen konnte, als ich am Kuchenbuffet (das zumindest gut aussah!) vorbei lief und noch weniger, als rasselnde Schlüssel unüberhörbar auf der Strecke unterwegs waren.

    Ein toller Bericht!

  10. claudia Says:

    ha jenau, ein toller laufbericht, die schlüsselträger nenne ich, seitdem ich deine berichte lese, ebenso … und es gibt sie überall, kein lauf ohne … ebenso die kleingeldträger, die beim eichhörnchen nüsse kaufen wollen, von beiden sollte man sich schleunigst entfernen, die rotznase hatte ich heute morgen auf dem großen Bunkerberg im Humboldthain, zum glück kam er mir entgegen und ich musste dieses unendlich eklige chhchchrrrr pscht (sammeln und ausspucken) nicht lange ertragen… wie immer so schön zu lesen, da kommt rosamunde tatsache nicht mit 😉 danke für all deine zeilen, die mir immer wieder die mittagspause sehr sehr unterhaltsam machen, wärmste grüße aus berlin, claudia


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